■ Unter konservativer Führung droht Polen das europäische Abseits
: Katholizismus ante portas

Natürlich hat es nichts mit Antisemitismus zu tun, wenn nationalkatholische Abgeordnete im Sejm erneut über das Außenministerium verhandeln wollen. Zwar ist der Posten bereits in den Koalitionsverhandlungen zwischen der in den jüngsten Parlamentswahlen siegreichen „Wahlaktion Solidarność“ (AWS) und der „Freiheitsunion“ (UW) vergeben worden. Doch der Name Bronislaw Geremek bereitet dem einflußreichen nationalkatholischen Flügel innerhalb der AWS „Bauchschmerzen“. Natürlich nicht, weil Geremek Jude ist, nein. Antisemitismus gibt es nämlich in Polen nicht – nein, der Grund ist ein anderer: Geremek ist „zu intelligent“. Der Professor spricht mehrere Sprachen, das disqualifiziert ihn eigentlich schon für den Posten eines Außenministers. Es wird Zeit, daß die Welt endlich polnisch lernt.

Außerdem hat Geremek auch noch vier Jahre lang mit den Postkommunisten zusammengearbeitet. Das macht sich im Bewerbungsbogen ganz schlecht. Er hätte sich verweigern müssen. So aber hat er das nationale Wohl Polens aufs Spiel gesetzt. Und außerdem hat auch die Kirche Bedenken geäußert. Besser geeignet für den Posten des polnischen Außenministers wäre Wladyslaw Bartoszewski. Der ist zwar auch intelligent und spricht mehrere Sprachen, außerdem war er in der postkommunistischen Regierung von 1993 bis 1995 sogar Außenminister. Aber Bartoszewski ist eben „einer von uns“. Doch der bekennende Katholik hat sofort abgelehnt. Er könne sich keinen besseren Außenminister denken als Geremek. Und daß „die Kirche“ Bedenken geäußert habe, könne er sich nicht vorstellen.

Vielleicht hört Bartoszewski kein Radio Maryja. Der nationalkatholische Privatsender ersetzt für fast 15 Prozent aller erwachsenen Polen bereits die institutionelle Kirche. Die Hörer, fünf bis sechs Millionen täglich, bilden eine verschworene Gemeinschaft: die „Familie Maryja“. An ihrer Spitze steht Pater Rydzyk, der allabendlich gegen Europa hetzt, gegen alles Fremde und Neue. Bei den Wahlen 1995 hat der Sender erstmals gezeigt, welche Macht er hat. Zwei mißliebige Kandidaten wurden diffamiert: Hanna Gronkiewicz-Waltz als „Freimaurerin“ und „Jüdin“, Jacek Kuron als „Mitverantwortlicher für das sowjetische Massaker an polnischen Offizieren in Katyn“. Die Hetze zeigte Wirkung: Beide Kandidaten fielen nach der Sendung in ein Sympathie-Loch. Diesmal hat die „Familie“ über die AWS-Liste, wie Pater Rydzyk mit Stolz verkündet, 60 gläubige Katholiken in den Sejm bringen können.

Die meisten Zeitungen schweigen zum „Fall Geremek“. Die AWS übt sich in Schadensbegrenzung. Doch Marian Krzaklewski, der Katholik, der die Geister rief und ein rechtes Wahlbündnis mit über drei Dutzend Parteien „erschuf“, kämpft bereits an allen Fronten. Das Letzte, was er gebrauchen könnte, ist ein antisemitischer Skandal. Christentum und Toleranz predigt er daher seinen Anhängern.

Die AWS braucht dringend und vor allem für das Ausland einen Imagewechsel – weg von dem xenophoben und provinziellen Katholikenverein, hin zu einer modernen christdemokratischen Partei. Da kam Professor Jerzy Buzek gerade recht: ein Protestant als Ministerpräsident Polens. Und wie wunderbar fügte es sich, daß er mit einer katholischen Frau verheiratet ist und seine Tochter katholisch erzogen ist. Alle klopften sich gegenseitig auf die Schultern: Wie tolerant wir doch sind!

Krzaklewski, der vor den Wahlen auf die radikal- katholische Karte setzte, steht nun vor der schwierigen Aufgabe, sein Land nicht in einen dumpfen Katholizismus abdriften zu lassen, der es innerhalb der EU isolieren könnte. Anders als die irischen Katholiken nämlich sind die Polen von ihrer Mission überzeugt. Auf seiner letzten Pilgerreise in Polen hat der „Papicz Polak“, der Papst-Pole, seinen Landsleuten eingeschärft, daß sie eine der letzten Bastionen des Katholizismus im säkularen Westen seien. Europa sollten sie als künftiges Missionsgebiet betrachten. Im Angesicht von Radio Maryja sollte aber nicht nur der Westen, sondern auch die katholische Kirche selbst sagen: „Nein danke!“ Gabriele Lesser