■ Die Teilung Bosniens würde die „ethnischen Säuberungen“ gutheißen und den Konflikt nicht lösen. Ein Replik auf Reinhard Mutz
: Ein Gaza-Streifen mitten in Europa

In der taz vom Dienstag konstatierte der Hamburger Friedensforscher Reinhard Mutz das Scheitern des Dayton-Abkommens und plädierte dafür, eine ethnische Dreiteilung Bosnien-Herzegowinas endgültig zu akzeptieren und durch weiteren Bevölkerungsaustausch zu vollenden. Neu ist der Vorschlag nicht. Bereits im August 1995 – noch vor Dayton – provozierte der WDR-Redakteur Eberhard Rondholz mit einem ähnlichen taz-Debattenbeitrag eine heftige Kontroverse.

Die aktuelle Teilungsdiskussion begann nicht zufällig in den USA und steht in direktem Zusammenhang mit dem Streit um Abzug oder Verbleib amerikanischer Soldaten in Bosnien nach Juni 1998. Auslöser war Anfang September ein Teilungsplädoyer Henry Kissingers. Deutlicher Widerspruch kam unter anderem von „Dayton- Architekt“ Richard Holbrooke. Was die Diskussion so kompliziert macht ist: Die beiden unterschiedlichen Ausgangspositionen der Diskutanten gehen quer durch die Lager von Teilungsbefürwortern und -gegnern. Kissinger hält den Dayton-Vertrag inzwischen für gescheitert, Holbrooke sieht noch Chancen für seine Umsetzung. Doch beide würdigen Dayton nach wie vor als den zumindest zunächst richtigen Ansatz. Mutz hingegen spricht von einem „im Ansatz verfehlten Friedensentwurf“. Ähnlich argumentiert der einflußreiche New York Times-Kolumnist und entschiedene Teilungsbefürworter A. M. Rosenthal.

Ich teile die Dayton-skeptische Ausgangsposition von Mutz und Rosenthal, komme aber zum gegenteiligen Schluß. Eine Teilung Bosniens – im Klartext: die endgültige Sanktionierung der „ethnischen Säuberungen“ – wäre nicht nur moralisch verwerflich. Auch realpolitisch wäre eine Teilung keine Lösung. Sie würde weder zu dauerhaftem Frieden führen noch die Präsenz starker internationaler Truppen überflüssig machen.

Schon die Beschreibung der Entwicklung seit Dayton, auf die manche Teilungsbefürworter ihr Plädoyer gründen, ist falsch. Mutz spricht von der „unverändert mangelnden Bereitschaft der drei beteiligten Bevölkerungsgruppen, sich über die Grundlagen ihres künftigen Zusammenlebens zu verständigen“ und verweist auf den anhaltenden Streit über gemeinsame Staatsorgane und Staatssymbole, Währung, Pässe oder Autokennzeichen. Doch die Realität ist differenzierter. Gewiß existieren auch bei den Muslimen, den Hauptopfern des Krieges, bedenkliche nationalistische Entwicklungen. Doch die Umsetzung des Dayton-Abkommens scheitert allermeistens an nationalistischen Serben und Kroaten. Das gilt auch für die Dayton-Bestimmungen über die Rückkehrmöglichkeiten von Flüchtlingen an ihre Vorkriegsheimatorte und die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal.

Als Beleg für seine These vom Unwillen der BosnierInnen zum multiethnischen Zusammenleben führt Mutz die Kommunalwahlen an. Doch tatsächlich gaben bei diesem Urnengang (mit einer Rekordbeteiligung von knapp 90 Prozent) 95 Prozent der WählerInnen ihre Stimme an KanditatInnen für das Kommunalparlament ihres Vorkriegsheimatortes. Damit unterstrichen sie ihren Wunsch nach Rückkehr – auch in Gebiete, wo viele von ihnen bereits vor dem Krieg der ethnischen Minderheit angehörten und dies auch nach einer Rückkehr der Fall wäre. Daß die Rückkehr von Flüchtlingen weiterhin oft erfolgreich verhindert wird, liegt wesentlich am mangelnden Willen der Dayton-Garantiemächte, dieses verbriefte Recht auch durchzusetzen – notfalls mittels SFOR.

Nun ist richtig, daß die BosnierInnen bei den Kommunalwahlen vor allem die alten nationalistischen Parteien gewählt haben. Die Einbußen etwa der Karadžić-Partei (SDS) in der „Republika Srpska“ wurden mehr als aufgewogen durch die alarmierenden Erfolge der noch viel nationalistischeren „Radikalen Partei“ von Šešelj. Aber kann das verwundern? Warum sollten die BosnierInnen von ihren nationalistischen Parteien ablassen, solange sie erleben, daß die internationale Gemeinschaft weiterhin mit diesen Parteien und ihren Drahtziehern in Belgrad und Zagreb paktiert. Auch seit Dayton sind die nichtnationalistischen, demokratischen und friedensfähigen politischen Kräfte und Medien in Bosnien (wie in Serbien und Kroatien) weiterhin angewiesen auf die zwar engagierten, aber in ihren Mitteln doch eben begrenzte Initiativen in einigen westlichen Ländern. Eine langfristig angelegte und mit ausreichenden Ressourcen verbundene Unterstützung westlicher Regierungen für den (Wieder)-Aufbau einer Zivilgesellschaft in den exjugoslawischen Staaten ist bis heute ausgeblieben. In der „Republika Srpska“ setzt der Westen statt dessen auf Biljana Plavšić, eine noch glühendere Nationalistin als Karadžić; in Serbien baut er weiterhin auf Milošević, obwohl die Fundamente seiner Macht immer morscher werden und im Kosovo der nächste Krieg bevorsteht. Und in Kroatien erfreut sich Tudjman trotz mancher Verbalkritik aus westlichen Hauptstädten ausreichender Unterstützung zur Sicherung seines Regimes.

Die von Mutz propagierte „Alternative“ für Bosnien, eine „verhandelte und vereinbarte Zweistaatlichkeit mit der Option einer schrittweisen Anlehnung an die größeren Nachbarn Kroatien und Serbien“ ist lediglich eine euphemistische Umschreibung der ursprünglich zwischen Tudjman und Milošević vereinbarten Annexionsziele. Was bei diesem Konzept für die muslimische Bevölkerung übrigbleiben soll, ist beschämend und – Zufall? – von Mutz nur vage beschrieben: „Ein Status garantierter und erforderlichenfalls beschützter Autonomie.“ Das ist das Rezept zur Schaffung eines Gaza- Streifens mitten in Europa. Vorprogrammiert wäre jener gewalttätige Widerstand und Terrorismus, der seit den 60er Jahren mit der PLO, Intifada oder Hamas verbunden wird.

Auch das Beispiel der „fahrlässigen Konfliktverschleppung“ in Zypern, mit dem Mutz seinen Appell für einen auf die Teilung Bosniens angelegten „präzisen und erfüllbaren“ Auftrag einer SFOR- Nachfolgetruppe zu untermauern sucht, widerlegt die Teilungsbefürworter. Auf Zypern ist die „saubere“ Trennung in zwei ethnische Teilstaten seit 22 Jahren Realität. Gelöst hat diese Teilung nichts. Weder die zypriotischen Griechen noch die Türken wollen sich auf Dauer mit dem Status quo abfinden. Statt dessen droht ein neuer Krieg um Zypern, unter Beteiligung der beiden „Mutterländer“ Griechenland und Türkei. Andreas Zumach