Burundis toter Präsident hält eine Siegesrede

■ Versuch der Versöhnung mitten im Bürgerkrieg: Die Tutsi-dominierte Militärregierung von Pierre Buyoya ehrt den 1993 ermordeten Hutu-Präsidenten Ndadaye mit einer Gedenkfeier

Bujumbura (taz) – Für Burundi ist der Oktober ein Monat voller Erinnerungen. Der 13.Oktober ist der Todestag von Louis Rwagasore, Sohn des letzten großen Königs von Burundi und Gründer der ersten großen postkolonialen politischen Partei des Landes „Uprona“ (Partei für Einheit und nationalen Fortschritt), der am 13.10. 1962, wenige Monate nach der Unabhängigkeit Burundis, von einem Griechen erschossen wurde.

Der 21. und 22.Oktober erinnern an den Tod eines anderen großen burundischen Politikers – Melchior Ndadaye von der Partei „Frodebu“ (Front für die Demokratie in Burundi), erster demokratisch gewählter Präsident des Landes, der am 21.10.1993, wenige Monate nach seiner Wahl, von Soldaten in einem Putschversuch getötet wurde.

Die Erinnerung an das letztere Ereignis ist in Burundi noch sehr lebendig, war Ndadayes Ermordung doch Startschuß für den bis heute andauernden Bürgerkrieg, der mittlerweile über 150.000 Menschen das Leben gekostet hat. Ndadayes Mörder sind immer noch frei; die Tutsi-dominierte Armee, aus der die Mörder des ersten Hutu-Präsidenten von Burundi stammten, regiert seit 1996 das Land unter Präsident Pierre Buyoya, der 1993 in den ersten freien Wahlen Burundis gegen Ndadaye verloren hatte.

Um so bemerkenswerter war es, daß die gesamte Regierung Buyoya am vergangenen Dienstag dem toten Ndadaye gedachte. In der Regina-Mundi-Kathedrale der burundischen Hauptstadt Bujumbura nahm sie an einer Gedenkmesse teil, bei der auch Vertreter politischer Parteien und viele ausländische Diplomaten anwesend waren. Die gesamte Gemeinde ging dann in Ndadayes einstigen Präsidentenresidenz und legte Kränze und Blumen auf dem Grab des ermordeten Präsidenten nieder. Eine schweigsame Menge schaute zu.

Nach dieser Ehrung geschah etwas Erstaunliches. Über Lautsprecher erklang Melchior Ndadayes Siegesrede vom Juni 1993, als er gerade die Wahlen gegen den vorherigen und heute wieder herrschenden Staatschef Buyoya gewonnen hatte. Bis zum letzten Moment hatte es Streit darum gegeben, ob diese Geste der Versöhnung politisch opportun sei. Aber dann gewannen die gemäßigten Kräfte des Regimes offenbar die Oberhand.

Am nächsten Tag war das kleine Dorf Kibimba im Zentrum Burundis Schauplatz der Gedenkfeiern. Hier waren am 22.Oktober 1993, als nach der Ermordung Ndadayes Gewalt im ganzen Land ausbrach, 73 Schulkinder lebendigen Leibes verbrannt worden – auf Befehl des Schuldirektors, ein Hutu, der seine Schüler nach „ethnischen“ Kriterien trennte. Durch diesen Massenmord wurde Kibimba zu Symbol des versuchten Völkermordes an Burundis Tutsi-Minderheit, zu dem damals einige radikale Hutu- Politiker in Reaktion auf den Tod des Hutu Ndadaye aufgerufen hatten. Nun eröffnete Buyoya in Kibimba eine Gedenkstätte für die toten Schulkinder, „Märtyrer des ethnischen Denkens“.

Aber die Gewalt gegen die Tutsi vor vier Jahren kann nicht die Repression vergessen machen, die von der Tutsi-dominierten Armee heute gegen die Hutu-Bevölkerungsmehrheit in Burundi begangen wird. Allein am Montag, einen Tag vor Beginn der Gedenkfeiern, gab die Armee die Verhaftung von 10.053 „illegalen Bewohnern“ in Gatumba nahe Bujumbura bekannt. Nach Gatumba sind in den vergangenen Jahren viele Hutu gezogen, die in den vergangenen Jahren aus Bujumbura vor dem Militär oder aus dem Norden Burundis vor dem Bürgerkrieg zwischen Armee und Hutu-Guerilla geflohen sind. Die Bevölkerung von Gatumba ist durch den Zustrom der Binnenflüchtlinge seit 1993 von 7.000 auf über 150.000 Menschen angestiegen. Mehrere Tausend der Verhafteten werden jetzt nach Angaben der Armee in einem Militärlager festgehalten. Pierre-Olivier Richard