Tigerkrallen reißen deutsche Aktien

■ Deutschlands größter Börsenknick seit dem Putschversuch gegen Gorbatschow 1990 wird ausgelöst von einem Börsencrash in Hongkong. Dort purzeln die Kurse nun so schnell wie in den angeschlagenen Nachbarländern

Berlin (taz) – Die Kursmalaise an den Börsen in Asien setzt zum Sprung nach Europa an. Vor allem an der Frankfurter Börse fiel gestern der Index, aber auch Zürich, Paris und London schwächelten stark. Wochenlang hatte sich die Währungs- und Wirtschaftskrise der Tigerstaaten in Asien von Börse zu Börse gewälzt und die Kurse purzeln lassen.

Gestern morgen schloß die Börse in Hongkong mit einem Minus von 10,4 Prozent – dem höchsten in ihrer Geschichte. Seit Montag sank der dortige Hang-Seng- Index bereits um ein Viertel. Hongkong hatte sich die Wochen vorher aus der Krise in Südostasien heraushalten können, als die Währungen in Thailand, Indonesien, Singapur oder Malaysia im Gleichschritt mit den jeweiligen Börsen um bis zu 50 Prozent gefallen waren.

In den letzten Tagen waren jedoch die Ängste gestiegen, daß sich der Hongkong- Dollar nicht als einzige starke Tigerwährung würde halten können. Die internationalen Devisenhändler wollen es mit der Regierung in Hongkong aufnehmen, obwohl diese im Gegensatz zu ihren asiatischen Nachbarn bis zu 70 Milliarden Dollar an Devisenreserven zur Stützung ihrer Währung auf der hohen Kante liegen hat. Um die Spekulanten abzuschrecken, setzten die Währungshüter die Zinsen hoch. Das aber trieb die Aktien in den Keller, weil dadurch Aktionäre begonnen haben, Geld auf plötzlich lukrative Sparkonten umzuschichten.

Experten rechnen damit, daß sich die abwertungslustigen Spekulanten durchsetzen. Mit einer abgestimmten Aktion hatten diese 1992 die ebenfalls nicht mittellose britische Regierung aus dem Europäischen Währungssystem gezwungen. Der damalige Hauptspekulierer George Soros soll dabei eine Milliarde Dollar verdient haben.

Am stärksten unter den bedeutenden europäischen Börsen reagierte die Deutsche Börse in Frankfurt: Mit 4,66 Prozent sank der Dax so stark wie seit dem 21. August 1990 nicht mehr. Damals hatten Sowjetgeneräle in Moskau gegen Michail Gorbatschow geputscht und die deutschen Aktienkurse um durchschnittlich 5,2 Prozent nach unten getrieben.

„Der Laden war hektisch, aber nicht sehr nervös“, schätzte trotz des Kursverfalls Stefan Lutz gestern die Stimmung ein. Die Broker seien relativ ruhig geblieben, sagte der Sprecher der Frankfurter Börse, „weil die Crash-Prophetie eigentlich schon seit dem Frühjahr über uns schwebt“. Trotzdem sei aber einiges Geld in sichere, festverzinsliche Bundesanleihen gewandert. Alle warten nun ab, wie die weltgrößte Börse in New York die Vorgaben aus Asien und Europa verdaut. Gestern nachmittag war der Index an der Wall Street bereits um zwei Prozent gefallen.

„Der Börsencrash in Hongkong wird die europäischen Aktienmärkte nicht in die Tiefe stürzen“, schätzte Hans-Joachim Betz gestern mittag. Der Aktienexperte der DG-Bank sieht das Umfeld in Europa derzeit noch in Ordnung; weil die Währungen stabil, die Zinsen niedrig und die Wirtschaft nicht heißgelaufen sei – alles im Gegensatz zu Südostasien.

In Mitleidenschaft könnten aber stark in Asien engagierte Konzerne wie Siemens oder BASF gezogen werden, sagte Betz. Aufatmen dürfen dagegen endlich einmal diejenigen Unternehmen, die bisher den Einstieg in den asiatischen Markt verschlafen hatten. Sie können nun damit prahlen, das bessere Timing gewählt zu haben – getreu der alten Börsenregel: Nach dem Crash einsteigen bringt sichere Gewinne. Reiner Metzger

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