Herzensveredelung

„Für viele Kinder sind wir ein Zuhause“: 150 Jahre pädagogische Arbeit auf St. Pauli  ■ Von Heike Haarhoff

„Hervorgegangen für diese Gemeinde ist eine Armenschule, in welcher gegenwärtig 300 Kinder freundliche Aufnahme gefunden haben, so daß für Geistesbildung und Herzensveredelung nach Kräften gesorgt ist.“Einen knappen Abriß der Bildungsverhältnisse auf St. Pauli lieferte Pastor Hahn 1845. Dann kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen: Die Armenschule in Raum-Not, die Kiez-Gemeinde pleite. Gerade erst hatte sie für den Kirchturm gesammelt, der beim Großen Brand von 1842 in Schutt und Asche gelegt worden war. Doch das Geld wurde umgewidmet, die St. Pauli-Kirche blieb über Jahrzehnte turmlos. Eine neue Schule aber wurde am 4. Oktober 1847 in der Antonistraße 12 eröffnet.

150 Jahre später schiebt der fünfjährige Ben seinen halbleeren Kartoffelbreiteller zur Seite und winkt eine gebrechliche Rentnerin an seinen Tisch. „Duuhu..?“Ob er wohl, während sie ißt, mal ihre Gehhilfe auf Rollen ausprobieren kann? Weiß nicht, grinst die Alte, und Bens Erzieherin Ilse Jahn-Schmidt sagt, daß „das Kinder- und Senioren-Restaurant richtig gut funktioniert“. Seit den Sommerferien essen die Alten mit den Jungen zusammen Mittag in der Antonistraße 12; schließlich befinden sich hier auch die Seniorenbegegnungs- bzw. Kindertagesstätte St. Pauli-Kirchengemeinde. Die Schule ist längst aus dem backsteinroten Altbau ausgezogen, aber, sagt Pastor Martin Paulekun, „daß die Kirche für alle offen steht, die hier wohnen, ist die wichtigste Maxime geblieben“.

Denn auf St. Pauli, sagt Paulekun, übernimmt die Kirche seit 150 Jahren staatliche Stadtteil- und Gemeinwesenaufgaben. Zwangsläufig: „Über Jahre waren wir das einzige Kindertagesheim südlich der Reeperbahn“– in einem Stadtteil, der zu den ärmsten Hamburgs gehört, in dem mehr als 20 Nationen zusammenleben und durch den an Wochenenden zigtausende Touristen und Freier strömen: Der Kiez lockt, und Paulekun ärgert sich „über die Depotplätze und Spritzen im Kirchgarten“.

„Für viele Kinder sind wir das Zuhause“, sagt der Pastor. Dank Spenden hat es die Gemeinde inzwischen sogar zu einem Jugendhaus und einer psychotherapeutischen Beratungsstelle gebracht.

Wer hier was, ob und an wen glaubt, ist Paulekun unwichtig. Nur daß die Kirche so häufig leer steht, nervt: „Vielleicht kommen wir eines Tages von dieser verordneten Sozialarbeit weg.“Dann könne man die Kirche „endlich wieder als Treffpunkt, aber auch zum Wohnen, Schlafen oder Haareschneiden“nutzen.

Fest zur 150-Jahr-Feier mit Gottesdienst, Musik, Ausstellungen, Essen und Trinken am morgigen Sonntag ab 15 Uhr, Antonistraße 12