Die Ratten wird's nicht jucken

■ Beiratssitzung Neustadt: Der gelbe Sack und das Rattenproblem

Pest in der Neustadt! Das Volk, zwanzigköpfig auf der jüngsten Sitzung des Beirats Neustadt erschienen, sah die Schlagzeile wohl schon vor Augen. Denn seit dem Sommer kommen in diesem Bezirk immer wieder die Ratten aus ihren Löchern und machen sich mit Vorliebe über den Speisereste versprechenden gelben Sack her. „Ich trau mich gar nicht mehr, die Kellerfenster zu öffnen,“klagt eine Dame, die einen Wohnblock an der Neuenlander Straße bewohnt. Und Beiratsmitglied Brigitte Diekmann-Karg (SPD) mußte den Kammerjäger dreimal kommen lassen. Das kostete sie 360 Mark plus Mehrwertsteuer, denn die Kammerjägerei ist in Bremen seit drei Jahren Privatvergnügen. Es gibt überhaupt nur noch einen bremischen Staatskammerjäger, und der darf lediglich auf Staatsgrund tätig werden. Stoff genug für eine bewegte Beiratssitzung.

Hohentorsheerstraße, Langemarckstraße, Neuenlander Straße: Hier treten Ratten gehäuft auf. Gleichzeitig finden sich an solchen Ausfallstraßen gern Winkel, in denen zur Freude der Ratte Auswärtige Müll deponieren. Leider sind die Zeiten vorbei, da man in solchen Fällen das Gesundheitsamt anrief. Heute gilt: Du entsorgst deine Ratte, ich entsorge meine. Mißlich bei der Frage der Kosten: Ratten sind äußerst bewegliche Tiere. Ob sie aus deinem Keller oder meinem kaputten Kanalanschluß kommen – wer weiß.

Zwei Fachleute standen dem Stadtteilparlament Rede und Antwort. Ute Zolondek vertrat das Gesundheitsamt und vermehrte das Wissen um Ratte und Pest. Es sei nämlich der Bürger an einem Gutteil seines Elends selbst schuld, der seine Essensreste ins Klo wirft und damit die Kanalbewohner füttert. Die Pest aber entstehe weder aus Dreck, wie ein Beiratsmitglied mutmaßte, noch aus der Ratte selbst, sondern komme vom Rattenfloh. Doch solange Frau Zolondek das Rattengeschehen in Bremen verfolge, sei ihr noch kein einziger Infektionsfall, geschweige Pestfall, bekannt geworden. Ratten seien bei uns eher ein hygienisches, aber kein Seuchenproblem.

Der zweite Fachmann war Gerhard Schreve-Liedtke von den Bremer Entsorgungsbetrieben (BEB), eine geschundene Person, weil immer auf seine lieben gelben Säcke eingeprügelt wird, wo doch schlicht die Leute zu doof sind. Die Leute: kennen die Abfuhrtage nicht und packen Verbotenes in den Sack. Natürlich kommen da die Ratten. Zum Beispiel Neue Vahr: Da wird die codierte Tonne eingeführt, und schon fangen die Leute an zu sparen, indem sie den Müll massenhaft in gelbe Säcke stecken. So sind sie. Dafür gibt es in der Neuen Vahr jetzt eine „Task-Force“aus engagierten Hausmeistern, die versuchen, aus falsch gefüllten Säcke, die Täter zu ermitteln. Und sogenannte „Hilfssherifs“, die früher Müllfahrer hießen. „Wo der Scheiß rumliegt, werden wir Zwangsbetonnung einführen!“rief Herr Schreve-Liedtke aus. Ertappte bekommen kostenpflichtig eine „Zwangstonne“, jawoll.

Es erhoben sich an jenem Abend auch besonnene Stimmen, die fragten, ob nicht, wenn es offenbar so wenig Menschen richtig verstehen, das System falsch sein könne. Sogar sprach einer: „Das duale System Deutschland ist Scheiße.“Aber das sind zu große Themen für ein kleines Stadtteilparlament.

Welches letztlich beschloß, den Bremer Senat aufzufordern, die Schädlingsbekämpfung wieder zu einer staatliche Aufgabe zu machen und neue Kammerjäger einzustellen. Die Ratten wird diese mutige Forderung – denken wir an die Bremer Haushaltslage – nicht groß jucken.

BuS