Lukrative Muscheln

■ „Viele denken, Demokratie ist, was ihnen persönlich nutzt“: Zwei Südafrikaner berichten über Ökologie in ihrer Heimat

ie Zoologin Nomalungelo Mqakama aus der Transkei und der Soziologe Clifford Ngcokoto aus der Kap-Provinz nehmen in Bremen an einer einjährigen Fortbildung zum Umweltschutz der Küstenmeere teil. Die Kurse und Praktika werden von der Carl Duisberg Gesellschaft in Bremen organisiert und betreut. Die taz wollte von den Gästen aus Südafrika wissen, wie die Ökologie acht Jahre nach der „Wende“in Südafrika heute dasteht.

taz: Kann man in Südafrika heute schon die ökologische Frage stellen?

Nomalungelo Mqakama: Nein. Aber das ist wegen der angespannten sozio-ökonomischen Lage charakteristisch für viele Entwicklungsländer. Die Menschen hängen dort sehr von den natürlichen Ressourcen ab, ob das der Fisch im Meer ist oder die Pflanzen und Tiere im Wildgehege. Jedes Naturschutzgebiet beispielsweise greift doch direkt in ihren Alltag viel direkter ein, als das in Deutschland der Fall ist.

Wie sieht das aus?

Mqakama: In der Transkei, die früher ein einziges großes Homeland war, herrscht heute beispielsweise die höchste Arbeitslosenquote in ganz Südafrika. Das wichtigste dort ist es, Arbeit zu finden. Dafür ziehen viele Leute in die Städte – und an die Küste, in der Hoffnung auf den Tourismus. Allein in der Transkei ist die Küste 250 Kilometer lang; einige Gebiete stehen dort schon unter Naturschutz. Aber bevor wir weitere Reservate ausweisen, müssen wir die Unterstützung in der Bevölkerung suchen. Denn nach den freien Wahlen sagen die Menschen: Das ist unser Land. Wir haben jetzt Demokratie. Sie wissen, daß die Muscheln im Reservat dick und fett sind, während draußen der Bestand schon schrumpft. Und sie wollen natürlich etwas von den fetten Muscheln abbekommen. Ihr Argument: Das ist alles Natur, von Gott geschaffen, also laßt uns die Bäume fällen, wenn wir doch dringend Holz brauchen. Da kann man nicht einfach Wissenschaft betreiben, und die Küste ökologisch bewirtschaften wollen, ohne mit den Leuten zu rechnen.

Das Demokratieverständnis widerspricht dem Ökobewußsein?

Mqakama: Ja, in gewisser Weise. Und wir müssen diese Perspektive auch respektieren. Viele der Südafrikaner leben davon, irgendwas an Touristen zu verkaufen oder aus Pflanzen Medizin herzustellen. Da kann man nicht daherkommen und sagen, hört zu, das habe ich erforscht, das ist enorm wichtig und ihr dürft da nicht mehr ran. Auch Wissenschaftler müssen von den Menschen lernen.

Armut ist also der zweite Feind von Ökologie?

Mqakama: Ja. Aber Südafrika ist groß. Im Western Cape haben sie vielleicht andere Probleme als wir in der Transkei. Bei uns gab es Schwierigkeiten, die Küstenzonenplanung durchzusetzen. Zwei Meter von den Mangrovenwäldern, direkt am Naturschutzgbiet, konnte man schon bauen.

Wie kommt es Südafrikanern vor diesem Hintergrund vor, in Deutschland auf einer Fortbildung zu sein?

Ngcokoto: Wir müssen es nur übersetzen in unsere Bedingungen.

Aber Ökologie kostet doch Geld.

Ngcokoto: Jedenfalls mehr als wir haben. Schon die Meßinstrumente sind sehr teuer, von Zeit- und Personalaufwand gar nicht zu reden.

Mqakama: Aber bei Fragen der Ölverschmutzung in den Häfen und bei Folgen von Tourismus zum Beispiel haben Südafrikaner und Deutsche ähnliche Fragen. Auch kennen wir jetzt das internationale Netzwerk, um es zu Hause zu nutzen – wenn ich, sagen wir mal als Meeresschützerin, auf Hindernisse stoße. Natürlich werde ich manche Technologie, die ich hier gesehen habe, wohl bis zum Tod nie mehr wiedersehen. Trotzdem ist die Kooperation, die in Deutschland zum Schutz der Küsten stattindet, beeindruckend. Genauso das Umweltbewußtsein in der Bevölkerung.

Was bereitet Südafrika die größten ökologischen Sorgen?

Mqakama: Das Bevölkerungswachstum, die Migration und die Verschmutzung der Meere. Das Schwierigste ist, Ökologie und Okonomie in ein Gleichgewicht zu bringen. Tourismus ist sehr wichtig für uns – aber er belastet die Region, die Gewässer, die Küste. Das Geld, um die Natur in diesen Regionen zu schützen, wird – wie in der ganzen Welt – zum Finanzproblem.

Gibt es eine traditionelle Bedeutung von Ökologie?

Mqakama: Es ist schwer zu sagen, was das Traditionelle bewirkt hätte, wäre das Land nicht zerteilt worden. Im Natal beispielsweise mußten die Einheimischen ihren Boden an der Küste verlassen. Da stehen heute nur weiße Villen in großen Zuckerrohrfeldern. Bis auf einen Strand waren alle für die Weißen reserviert. Vor diesen Hintergründen ist es schwer, etwas über ökologische Traditionen zu sagen.

Es sieht so aus, als habe Südafrika viele Probleme zu lösen, bevor Ökologie an die Reihe kommt...

Mqakama: Das darf man keinesfalls so sehen. Auch bei sozio-ökonomische Fragen muß man die Ökologie heute mitbedenken.

Wenn sie die südafrikanische Umwelt-Gesetzgebung betrachten, sind Sie mit dem status quo zufrieden?

Mqakama: Alles was mit Küstenfischerei und Flüssen zu tun hat, muß noch verbessert werden. Allgemein sind unsere Gesetze nicht streng genug. Wer Land und eine Erlaubnis hat, kann auch eine Zementfabrik an den Fluß setzen. Wer Geld hat, kann viel. Nur in Einzelfällen regt sich Protest – wie in Kapstadt, wo die Anwohner den Ausbau von Hotelkomplexen verhindert haben.

Ngcokoto: Es ist anders als in Deutschland, wo jeder die Gesetze kennt. Bei uns kennen viele nicht einmal das Grundgesetz. Mit Umweltgesetzen und deren Konsequenzen könnte man die Leute prima verwirren, ehrlich.

Mqakama: Ja, die Leute klatschen Beifall für jeden neuen Arbeitsplatz ...

Ngcokoto: Ich wiederhole nicht gerne, was Politiker sagen...Arbeitslosigkeit macht alles schwer und so. Aber wir sind eine Gesellschaft im Umbruch und haben damit richtige Probleme.

Fragen: Eva Rhode