■ Gentechnologie: Auf Nachrichten von kopflosen Frosch-Embryonen reagiert das Publikum stets pflichtschuldig bestürzt. Und versteht wenig
: Das Individuum als Bio-Kapitalist

Nun schaudern sie wieder. Kaum haben sie sich über Dolly beruhigen lassen, da kommt Jonathan Slack aus Bath mit seinem kopflosen Frosch-Embryo daher. Was am Frosche gelungen sei, berichtet er in aller Unschuld, nämlich die gentechnische Herstellung von funktionsfähigen Organismen ohne Gehirn und Zentralnervensystem, lasse sich prinzipiell auch für den Menschen entwickeln.

Eine Patentlösung tut sich da auf. Mit der Produktion von kopflosen Embryos ließen sich aus eigenem Gewebe Organbanken schaffen, aus denen der Transplantationschirurg schöpfen könnte, ohne das Gesetz zu verletzen. So ließe sich das Verbot der Embryonenforschung umgehen. Denn wo kein Kopf, da auch kein Mensch und kein Embryo, der die Menschenwürde tragen kann. Da wäre vom Gesetz nichts Menschliches zu schützen.

Sogleich folgt die pflichtschuldige Reaktion. Frankenstein taucht auf, und der Oxforder Ethiker Andrew Linzey spricht vom „wissenschaftlichen Faschismus“. Wie schön für die Schlagzeilenredakteure: Für einige Wochen wieder Stoff für den Masochismus eines Publikums, das ständig seine Portion Angst vor dem biologischen Manipuliertwerden braucht – bis das nächste Schaf, die nächste Maus, der nächste Frosch durchs Dorf getrieben werden kann.

Dagegen verschlägt wenig, daß besorgte Justizfunktionäre, Ethik- Kommissäre und auch Leitartikler richtigstellen und beruhigen. Die gesetzlichen Vorschriften seien den Versuchungen aus solcher Forschung allemal gewachsen, auch liege der sehr ungewisse Erfolg in weiter Ferne. Die Leute wollen nun einmal von Zeit zu Zeit zur Angst um ihren einmaligen Körper und seine Reproduktionsfreiheit stimuliert werden. Mag dieser Körper mit noch soviel Prothesen und Schönheitschirurgie aufgepeppt sein, mag die Fortpflanzung bei vielen nur mit Hilfe von High-Tech gelingen. Die Zahl der Europäer, die sich in aller natürlichen Freiheit vermehren können, nimmt ja ab.

Nachdem die Sorge ums Waldsterben etwas abgeflacht, zugleich mit Hilfe von Greenpeace monetarisiert und werbegerecht verpackt ist, muß die Biotechnologie die Angstkonstante der Konsumgesellschaft aufrechterhalten. Sie hat nicht nur allwöchentlich Buntes zu bieten, sondern zielt auch auf den Überfetisch der ich-zärtlichen Kommunikationskultur: die Identität, jenen Begriff, den vor 30 Jahren außer den Philosophieprofessoren und den Polizeibehörden niemand kannte. Die Identität würde verhackstückt, so ängstigt sich der Leibeigentümer, wenn vom identitätslosen Organreservoir Ersatzstücke ins Original umgepackt würden. Die Einmaligkeit des Ichs und seine Autonomie würden angeknackst, wenn es sich so schandbar aus eigener Organzucht ergänzen und auffrischen müßte. Ersatzorgane bitte aus ganzen und wenigstens kürzlich noch intakten Vollmenschen mit Kopf.

Daß der Erfahrungsschock aus der nazistischen Experimentierwut bei den Deutschen tiefer sitzt als etwa bei den Amerikanern und sie zu Dauernörglern gegen die Biotechnologie macht – diesen Vorwurf können sie getrost ertragen. Doch kommt die Angst ums technisch entfremdbare Ich aus einer dumpfen Ecke, die gar nicht so weit von jener finsteren Versuchsküche liegt. Es ist der biologistische Aberglaube, der die Entfaltung der menschlichen Person an seine Naturbedingtheit fesselt. Dieser genetische Determinismus ist das Zwillingsgeschwister des Fortschrittsfatalismus, von dem sich nicht einmal seine Gegner ganz lösen können. Dieses Paar blüht um so kräftiger, je mehr sich das Individuum entgrenzt sieht, weil die Institutionen verschwimmen und zurückweichen. Nicht von ungefähr sind ja biologistischer Determinismus und Fortschrittsgläubigkeit besonders tief in den staatsfeindlichen und frommen USA verhaftet. Wenn auch sie sich bisweilen durch die Biotechnologie, vor allem durch die Eigentumsansprüche der Bio-Industrie am Gen geniert fühlen, so ist es vor allem das right of privacy, um das sie fürchten: Das Besitzrecht am Körper wird mit der Person gleichgesetzt. Darin aber haust Fatalismus, Unterwerfungsbereitschaft unter die Zwangsläufigkeit des technischen Fortschritts.

Man weiß nicht, was ist Ursache, was ist Wirkung: Die Angst um die Identität, die von Dolly und seinen technischen Artgenossen gefährdet würde, bäckt sich zusammen mit einer tiefen Unwissenheit über biologische Prozesse. In unserer Informationsgesellschaft haben die allermeisten Leute nur geringe Ahnung von ihrer Physiologie. Dauernd mit den Empfindlichkeiten ihrer Körpermaschine beschäftigt, weigern sie sich doch ängstlich, sie genauer zu kennen.

Der biologische Obskurantismus, der sich alltäglich an den Schreckensmeldungen von der biotechnischen Front ergötzt, wird leider bald gefährlich werden, lebensgefährlich. Denn die westliche Zivilisation tritt nunmehr ein in eine eugenische Epoche, in der die Veränderung der Spezies durch Technik auf der Dauertagesordnung steht. Es ist nicht mehr jene Eugenik der Rassenzüchtung und der Eliminierung „lebensunwerten Lebens“, in die sich die Dolly-Verstörten noch immer zurückängstigen. Es ist vielmehr eine Eugenik, die durch den Markt geschaffen wird, durch Angebot, Nachfrage und individuelle Entscheidung.

Die demnächst abgeschlossene Erkundung des menschlichen Genoms, das heißt seine vollständige Lesbarkeit, hat Folgen, denen sich niemand entziehen kann. Die genetische Entschlüsselung der erblich (mit-)bedingten Krankheiten – etwa 300 – zieht einen mächtigen Aufschwung der Therapie-Industrie nach sich. Schon heute, da erst zwei bis drei Dutzend genetisch bedingter Krankheiten decodiert sind, boomt der Markt für Gentests. Und nie schief kann liegen, wer in Aktien der biotechnischen Industrie investiert.

Jedes neu entdeckte Krankheitsgen erzeugt Nachfrage nach Tests und Therapie. Nach einer Therapie, die im Endeffekt auf Ausrottung zielen muß. Das wäre zum Beispiel bei der Diabetes in nicht ferner Zeit möglich. Eine diabetesfreie Menschheit aber hätte schon den Einstieg in eine Eugenik getan, die sich nun als positive Utopie und Menschheitsfortschritt rühmen ließe.

Das Individuum als Bio-Kapitalist, der so oder so mit seinem Genom eigenverantwortlich umgehen muß, braucht einen aufgeklärten Kopf. Leute, die es schon vor Dolly und vor dem kopflosen Frosch des Professor Slack graust, könnten demnächst zu dumm sein für ihre Lebensbewältigung. Und wer zu dumm ist fürs Leben, den bestraft es dann eben. Claus Koch