160.000 fordern Freiheit für Sofri und die anderen

■ Italiens ehemalige Lotta-Continua-Führer haben im Knast einen Hungerstreik begonnen

Rom (taz) – Mit einer großangelegten Unterschriftenaktion wollen nicht nur Italiens Bürger, sondern auch viele ausländische Beobachter den ehemaligen Lotta- Continua-Führer Adriano Sofri und seine beiden Mithäftlinge Ovidio Bompressi und Giorgio Pietrostefani aus dem Gefängnis holen. Die drei, verurteilt wegen des Mordes am Polizeikommissar Luigi Calabresi 1972, haben am vergangenen Montag einen Hungerstreik begonnen und wollen diesen fortführen, bis die Justiz ihnen die Wiederaufnahme des Verfahrens gestattet. 160.000 Unterzeichner sind mit ihnen einer Meinung.

Das Urteil, ergangen im Januar 1997 nach nicht weniger als sieben Instanzen, hatte sofort heftige Polemiken ausgelöst: Viele ehemalige Mitglieder der Lotta Continua, inzwischen in hohe Ämter eingerückt und zahlreich im Parlament vertreten, vermuten hinter der Verurteilung eine späte Rache an der Studentenrebellion. Bestärkt wurde dieser Eindruck dadurch, daß der Verdacht gegen Sofri und die anderen erst mehr als 15 Jahre nach der Tat aufkam, und zwar durch Enthüllungen eines Exgenossen, der sich plötzlich als Mittäter bezichtigte und Sofri als Auftraggeber denunzierte.

Sofort nach dem Haftantritt der drei hatten sich namhafte Journalisten, Schriftsteller, Künstler und Personen des öffentlichen Lebens für eine erneute Revision eingesetzt, auch aus dem Ausland kamen zahlreiche Aufforderungen zur Freilassung. Der diesjährige Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der das Urteil als „faschistisch“ bezeichnet, will einen Teil des Preisgeldes für Aktionen zugunsten Sofris spenden. Heute werden die deutschen Grünen in der Tageszeitung il manifesto eine Solidaritätsadresse für die drei Häftlinge veröffentlichen: Unterzeichner sind unter anderen Barbara Duden, Joschka Fischer, Klaus Wagenbach und Daniel Cohn-Bendit.

Sofri und seine Freunde wollen sich jedoch nicht auf eine Amnestie oder einen Gnadenerweis einlassen, wie das in den meisten Petitionen gefordert wird. Tatsächlich hieße beides, daß ihre Schuld als erwiesen gilt – eine spätere Wiederaufnahme des Verfahrens und damit eine Rehabilitation wäre unmöglich. Genau dies aber wollen die drei, die stets ihre Unschuld beteuert haben.

Das jedoch ist zumindest im derzeitigen Stadium ein nahezu unmögliches Unterfangen: Für eine Wiederaufnahme müßten gravierend neue Erkenntnisse über Tathergang und Täter vorliegen, doch alles, was Sofri und seine Anwälte einwenden, wurde bereits abschlägig beschieden und kann daher, auch wenn es wahr sein sollte, formal nicht Grundlage einer Wiederaufnahme sein.

Viele der Unterzeichner des Appells, wie etwa der Schriftsteller Umberto Eco und der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga, wollen denn auch einen Mittelweg ansteuern: Zumindest Haftverschonung sei den dreien zu gewähren, da weder der Aspekt der „Besserung“ noch der einer Resozialisierung den Gefängnisaufenthalt rechtfertige. Schließlich hätten die drei seit jenen wilden Rebellenjahren ein einwandfreies Leben geführt, sich enorm sozial engagiert und, wie Sofri, sogar aktiv zur Linderung der Not im ehemaligen Jugoslawien beigetragen.

Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro, der in letzter Instanz über Gnadenerweise befinden muß, hat auf Anfrage des Justizministers bereits erkennen lassen, daß er für einen solchen Akt „die Zeit noch nicht gekommen“ sieht.