Prozeßunterbrechung wegen Bronchitis

■ Der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagte Papon nimmt Auszeit. Verhandelt wurde bislang nur über seine Gesundheit

Paris (taz) – Papon hat schlecht geschlafen, Papons Hand zittert, Papon hat eine Bronchitis. – Wie ärztliche Bulletins lesen sich die Berichte aus dem Gerichtssaal, wo der einstige Generalsekretär der Präfektur der Gironde wegen seiner Rolle bei der Judendeportation aus Bordeaux der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist. Gestern hatte Maurice Papon wieder eine Malaise. Der 87jährige mußte in ein Krankenhaus eingeliefert und sein Prozeß unterbrochen worden.

Damit ist es dem Schwurgericht in Bordeaux am Ende der dritten Verhandlungswoche immer noch nicht gelungen, in medias res zu gehen. Die 1.560 zwischen 1942 und 1944 aus Bordeaux deportierten und ermordeten Juden sind im Gerichtssaal nur bei der Verlesung der Anklageschrift erwähnt worden. Die Anwälte der Nebenkläger – Angehörige der Deportierten und jüdische Vereinigungen – spielen eine Statistenrolle. Statt dessen ging es um Verfahrensfragen, den Lebenslauf des Angeklagten und dessen Gesundheit. Es begann am 8. Oktober mit dem Antrag der Verteidigung auf Freilassung von Papon, der bereits am ersten Verhandlungstag den Fortgang des Verfahrens verhinderte. Obwohl in Frankreich das Gesetz vorsieht, daß Angeklagte während ihres Schwurgerichtsverfahrens im Gefängnis sind, machte das Gericht in Bordeaux für Papon eine Ausnahme. Anstatt den herzkranken Angeklagten in eine überwachte Krankenstation zu verlegen, entschied es, Papon freizulassen. Der Angeklagte, der während der drei Verhandlungstage über seinen Gesundheitszustand passenderweise eine nächtliche Krise hatte, wegen derer er eilig von seiner Gefängniszelle in ein Krankenhaus verlegt worden war, spazierte nach dieser Entscheidung in ein Luxusrestaurant und später in ein Fünf-Sterne- Hotel. Erstaunten Journalisten sagte er lächelnd: „Mir geht es besser, danke.“

Ähnlich kündigte sich Papons jüngste Krise am Donnerstag an. In den Tagen zuvor hatte der Angeklagte stehend lange und kämpferische Reden über seine Karriere als Spitzenbeamter, sein angebliches Engagement für die französische Résistance und über seine Rolle bei der blutigen Repression einer Algerierdemonstration 1961 in Paris gehalten, wo er damals Polizeipräfekt war. Als am Donnerstag der erste von mehreren Historikern in den Zeugenstand treten sollte und damit das eigentliche Kapitel der Kollaboration mit Nazideutschland und die Deportationen auf die Tagesordnung kamen, wurde Papon schwach.

Statt im Gerichtssaal findet die Debatte im französischen Parlament statt. Dort antwortete Premierminister Lionel Jospin auf eine Kritik des neogaullistischen Oppositionsführers Philippe Seguin (RPR), der behauptet hatte, in Bordeaux würde „der Prozeß gegen den Gaullismus“ stattfinden. Jospin antwortete ihm: „Diese Übung ist nötig. Wir müssen die Grenzen fixieren, damit so etwas nie wieder passiert.“ Dorothea Hahn