Die Kolumbianer wählen – falls die Guerilla sie läßt

■ Die Guerillaverbände haben angekündigt, die Wahlen so stark wie möglich zu behindern

Wien (taz) – Der Liberale Enrique Peñalosa wird morgen voraussichtlich zum Bürgermeister von Bogotá gewählt. Doch der bevorstehende Wechsel in der Stadtverwaltung der Hauptstadt bewegt die Kolumbianer weit weniger als die Frage, ob in den ländlichen Gebieten überhaupt eine reguläre Wahl zustande kommt. Die Guerilla legt es darauf an, die Kommunalwahlen in so vielen Gemeinden wie möglich zu boykottieren.

Mit Mord, Kidnapping und Einschüchterung von Kandidaten für das Bürgermeisteramt und den Gemeinderat haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und das Nationale Befreiungsheer (ELN) bereits über tausend Kandidaten zum Rücktritt veranlaßt. Ursprünglich richteten sie sich vor allem gegen Leute, die den rechten Paramilitärs nahestehen. Doch jetzt geht es um eine Machtdemonstration. Immer mehr Gemeinden werden von provisorischen Militärbürgermeistern regiert, die vom Regionalgouverneur ernannt wurden. Für den Wahlsonntag haben die Rebellen neue Attacken angekündigt.

Während in anderen Ländern Lateinamerikas die bewaffneten Konflikte auf dem Verhandlungsweg beigelegt wurden oder die Guerillas, militärisch und politisch geschwächt, immer mehr an Bedeutung verlieren, waren die Aufständischen in Kolumbien noch nie so stark wie jetzt. Vor zwölf Jahren operierten sie in nur 173 Gemeinden, 1991 waren es schon 437 Kommunen. Heute bestimmen sie in 622 von insgesamt 1.069 Gemeinden das Leben ganz oder teilweise.

Seit 1982 konnten sie außerdem die Anzahl ihrer bewaffneten Verbände verdoppeln. Allein die FARC sind in über 80 Fronten organisiert. Dank der Einnahmen aus Lösegeldern und der „Besteuerung“ von Viehzucht, Erdölförderung und Drogengewinnung verfügen sie über fast unbeschränkte Mittel.

Mitte September versuchte die Armee vergeblich, durch eine Großoffensive in den südöstlichen Urwaldgebieten ein Führungsmitglied der FARC in die Enge zu treiben. Bauern und indianische Gemeinden protestierten gegen das unausgesetzte Bombardement am Rande ihrer Siedlungsgebiete. Anfang Oktober revanchierten sich die FARC mit einem Hinterhalt im Departement Meta, bei dem 17 Soldaten massakriert wurden.

Zwei Tage vorher war eine Abordnung der Staatsanwaltschaft, die die Güter eines Drogenbosses beschlagnahmt hatte, auf dem Heimweg überfallen worden. Zehn Funktionäre wurden ermordet. Ursprünglich hatte man auch diese blutige Attacke der „Narkoguerilla“ angelastet. Bald war jedoch klar, daß die Kokainhändler ihre Pistoleros geschickt hatten.

Paramilitärische Verbände mit insgesamt etwa 5.000 Mitgliedern schützen die Interessen von Drogenbossen und Großgrundbesitzern und versuchen den Einfluß der Guerilla zurückzudrängen. Die Territorialdispute werden in der Regel über Racheakte an der Zivilbevölkerung ausgetragen. Nach dem jüngsten Bericht der kolumbianischen Juristenkommission werden alljährlich 3.000 Menschen aus politischen Motiven ermordet, zu zwei Dritteln von Paramilitärs. Nicht mehr als drei Prozent der Täter werden gefaßt und verurteilt.

Diesem Wahnsinn, der nach den Befürchtungen von Menschenrechtsaktivisten auf einen offenen Bürgerkrieg wie in den fünfziger Jahren zusteuert, versucht eine Initiative der Zivilgesellschaft entgegenzutreten. Das „Netzwerk der Initiativen für den Frieden“, ein Zusammenschluß von Nichtregierungsorganisationen und lokalen Friedensgruppen, der vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, Unicef, angeführt wird, hat für den Wahltag eine Volksbefragung durchgesetzt. In dem Plebiszit werden alle Akteure des Konflikts aufgerufen, eine friedliche Lösung zu suchen und das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Das heißt: Verzicht auf das Rekrutieren von Kindern, auf Mord und Kidnapping und Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung.