Konsumieren bis zum Bankrott

■ Schuldner werden immer jünger: 37 Prozent sind unter 30 Jahre alt und haben durchschnittlich 22.000 Mark Schulden. Bundesweite Fachtagung „Kids, Knete und Konsum“ zur Prävention

Es begann mit einer Peinlichkeit: Kochtöpfe hatte Ralf (Name geändert) bestellt, für 5.000 Mark. Außerdem stand – für einen weiteren Riesen – die Lieferung eines Staubsaugers ins Haus. Kaum ein Jahr weg von zu Hause, hatte der damals 18jährige Hellersdorfer sich hoch verschuldet. Weshalb er sich von den redegewandten Drückern vor seiner Tür für eine Vertragsunterschrift hatte über den Tisch ziehen lassen, darüber will Ralf – mittlerweile 25 – heute nicht mehr grübeln.

Doch die Schulden sind geblieben. Ein Jahr Arbeitslosigkeit, ein Kind mit seiner Freundin, das es zu versorgen gilt, und schließlich Streß mit Mahnungen und Prozeßdrohungen des Edelgeschirrlieferanten, weil er damals die Annahme der Geräte verweigert hatte. Als man den Dauerschuldner schließlich mehrmals beim BVG-Schwarzfahren erwischt hatte, glitten Ralf auch die letzten paar Mark aus der Hand.

Kein Einzelfall, sagen die Schuldnerberater. Immer mehr Menschen, so warnen sie, verschulden sich bereits in jungen Jahren. „Der Trend ist ungebrochen“, sagt Peter Zwegat von der Schuldnerberatung „Dilab“. Rund 180.000 Berliner sind nach seinen Schätzungen überschuldet. Insgesamt 37 Prozent von ihnen, so hat das bayerische Institut für Grundlagen- und Programmforschung (GP) ermittelt, sind jünger als 30 Jahre. Mit durchschnittlich 22.000 Mark stehen sie bei Banken, Versandhändlern und Mietherren in der Kreide: Bereits so weit in den Miesen, daß sie ein eigenständiges Leben ohne professionelle Hilfe von Schuldnerberatern nicht mehr führen können.

Während jedoch Jugendarbeitslosigkeit und Kürzungen im Sozialbereich den Spielraum für die meisten jungen Haushalte immer weiter einengen, scheint der Drang nach Luxus und Konsum ungebrochen. Die Beobachtungen der Schuldnerberater bestätigen die immer gleichen Klischees: Das Auto, eine eigene Wohnung und kostspielige Reisen gehören mittlerweile zum Standardstartpaket junger Erwachsener. Wer das Elternhaus verlassen hat, will nicht hintanstehen.

„Finanzplanungen bis zum Anschlag“ nennt dies Schuldnerberater Zwegat. Seine Beobachtung: Mit vollem Risiko und ohne Netz gehen viele junge Haushalte an den Start. Mit Krediten oder Ratenkäufen versuchten die Hausstandneulinge, ihren Budgetrahmen maximal auszureizen. „Unvorhergesehene Ereignisse werden häufig nicht bedacht“, hat Zwegat beobachtet. „Dann jedoch gerät die Lebensplanung jäh ins Rutschen.“ Doch plötzliche Schicksalsschläge wie Arbeitslosigkeit, Scheidung oder eine längere Krankheit beenden die Tagträume.

„Eine völlig übersteigerte Selbsteinschätzung“ konstatiert daher die Vizepräsidentin des Bundesverbandes deutscher Inkassounternehmen, Gerti Höning: Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene aus sozial schwächeren Familien seien gefährdet. Geleitet vom Drang dazuzugehören, versuchten sie oft mit ihrer übersteigert konsumorientierten Umwelt mitzuhalten.

Während die Anzahl der Inkassounternehmen seit Jahren beständig wächst, haben auch die freien Wohlfahrtsträger dem erhöhten Beistandsbedarf Rechnung getragen: Die erste öffentliche Schuldnerberatung existiert bereits seit 1984. Heute bieten 32 Stellen einen kostenlosen Service.

Zunehmend setzt man in der Landesarbeitsgemeinschaft der Schuldnerberater jetzt auf Präventionsunterricht bei Jugendlichen. Seit 1995 lehren die Mitarbeiter von „Dilab“ regelmäßig Schulklassen. Jetzt will die Organisation auch bundesweit in die Offensive gehen. Auf einer Fachtagung mit rund 100 Experten aus ganz Deutschland sollen diese Woche in Berlin neue Konzepte für den Schulunterricht vorgestellt und diskutiert werden. Motto der Veranstaltung: „Kids, Knete und Konsum“. Ziel soll es sein, daß künftig schon im Klassenzimmer der Umgang mit Geld und jugendlichen Konsumwünschen trainiert wird.

Ralfs Schulden – 15.000 Mark – konnten mit Hilfe einer Schuldenberatungsstelle mittlerweile auf 5.000 Mark gesenkt werden. Geholfen haben ihm dabei ein Zinserlaß bei seinen Gläubigern und der Wegfall von Mahngebüren und Prozeßkosten. Tilman Weber

Weitere Informationen und Adressen von Schuldnerberatern: DILAB Dienstleistungszentrum für Arbeitslose und Betriebsangehörige e.V., Tel. 7825074; Julateg e.V., Tel. 42187472; Deutscher Familienverband, Tel. 45300114; Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg, Referat Schuldnerberatung, Tel. 6916078/79