Ein Streichquartett zum Kratzen und Fideln

■ Wonnig: Das „Turtle Island String Quartet“jazzte auf Geigen, Bratsche und Cello

Für gestrenge LiebhaberInnen des schönen Geigenklangs sind sie ein Grund zur Empörung: Denn die vier Streicher des „Turtle Island String Quartetts“geben sich auf ihren Instrumenten der hemmungslosen „Schaberei“hin. Der Jazz ist ihr Genre und die möglichst individuelle Tonbildung eines der wichtigsten Elemente dieser Musik.

So kratzen, schlugen und fidelten sie jetzt auch im erstaunlicherweise nicht gefüllten KITO und zauberten damit einen sehr jazzigen Sound aus ihren altehrwürdigen Instrumenten. Mark Summer zupfte sein Cello oft wie einen Kontrabaß und schlug dazu rhythmisch auf den Resonanzkörper, so daß er manchmal wie die gesamte Rhythmussektion einer traditionellen Jazzband klang. Danny Seidenberg strich mit dem Bogen auf dem Holz seiner Bratsche und ließ sie so genau wie ein mit dem Besen gespieltes Schlagzeug erklingen. Die beiden Violinisten David Bala-krishnan und Evan Price strichen auf ihren Instrumenten so viele Tonschattierungen, daß sie manchem Jazzsaxophonisten oder – Gitarristen den Schneid abkauften.

Neben einigen Eigenkompositionen spielten sie Jazzstandards von Miles Davis oder Thelonius Monk, also das Programm einer konventionellen Jazzband. Bei ihren Improvisationen versuchten sie weder wie Gitarre, Piano oder Horn zu klingen, noch erinnerte ihr Ton an bekannte Jazzgeiger wie Stephane Grappelly oder Jean-Luc Ponty. Statt dessen schienen sie für jedes Stück einen eigenen Sound zu finden, und mit der gleichen Abenteuerlust entfernten sie sich in ihren Soli von den festgefügten Formen der Standards. Ironischerweise wurde dies am deutlichsten in ihren Anleihen bei der Klassik. „A little bit of Bach“entpuppte sich als Versuch, Themen des Komponisten mit soviel verschiedenen Jazzstilen wie möglich zu kreuzen. Und bei Vivaldis „Winter“konnte man einen direkten Vergleich mit dem anderen „Klassik-Jazzer“Jaques Loussier anstellen, der vor einigen Monaten die „Vier Jahreszeiten“solo auf dem Flügel spielte und dabei viel zahmer als die vier Streicher aus Kalifornien klang.

Diese würzten das inzwischen zur Allerweltsmusik geratene Stück konsequent mit solchen Zugaben wie Bossa Nova oder mexikanischer Fidelmusik, und so vergab man ihnen gerne dieses offensichtliche Zugeständnis an die Hörermoden. Daß sie davon nicht frei sind, zeigten sie schon bei ihrem letzten Auftritt, als sie wie viele andere Streicher auch Jimi Hendrix spielen mußten. Nicht nur dabei drängt sich der Vergleich zum „Kronos Quartett“auf, aber während dieses ein klassisches Streichquartet bleibt, sind die „Turtle Islands“eine Jazzband mit anderem Instrumentarium. Wilfried Hippen