Schwer ist es, engagiert zu sein

■ Eine Wanderung durch das Bremer „Fluchtzeiten“-Projekt, Klappe: Die Zweite

Kulturtip: Wer sich mit dem Fahrrad in geballter Herbsttristesse durchkämpft zu den großzügig über die Stadt gestreuten Ausstellungsorten des „Fluchtzeiten“-Projekts, der ist zwar am Ende, und zwar restlos, dafür aber auch in der richtigen Stimmung für die ernste Thematik. Er weiß, was es heißt, unterwegs zu sein, gehetzt, geschunden, außer Atem.

Auch nicht zur Beruhigung trägt es bei, wenn man dann den Schlachthof verwandelt sieht: in eine Mühle. Ach nein. Ist ja nur das Riesenrad des Freimarkts, das die müden Sinne täuschte. Aber egal, ob Mühle oder Schlachthof. In seinem Nachschlag zur ersten Fluchtzeiten-Ausstellung (die taz berichtete) beweist das Gebäude jedenfalls proletarische Solidarität. Im Treppenhaus sind wunderbare Fotos von einem anderen stillgelegten Industriebau zu sehen: einem leergefegten Getreidespeicher im Ostberliner Hafen. Bilder von Backsteinmauern hängen auf Backstein. Bilder von Stromleitungen neben Stromleitungen. Das Ergebnis von Industrie-Flucht: Vergammeln (auf den Fotos) oder Kultur (im Schlachthof). Welche Alternative.

„Notausstieg“steht auf einem grünen Schild am Fenster des Ausstellungsraums. Keine Kunst, brutaler Ernst: wer hier in ein Feuer gerät, wird wohl springen müssen, schätzungsweise 25 Meter, halbe Riesenradhöhe. Tja, das deutsche Verordnungswesen geht sonderbare Wege, zumindestens Fluchtwege. Wenigstens weiß jeder in Not Geratene ganz zweifelsfrei aus welchem Fenster er sich zu Tode stürzen darf. Ein Problem weniger.

Im zugehörigen Raum hängen noch mehrere dubiose Schilder, ein ganzer Wald davon, in Augenhöhe. Diesmal ist es Kunst, Tom Terhoeven. Rennt man dagegen an – vielleicht aus Zerstreutheit – macht es „Pling“. Die Schilder behaupten „New York“, „Desir Sao Felix“oder „Steinbach Auslese“. Geht es um Konsum oder um Richtungsweisendes in schnöderem, geographischem Sinne? Der Kunstkonsument ist konfus. Macht ja nichts. Mit dieser Wirkung sind Künstler oft schon vollauf zufrieden.

In der Galerie Pro Art ist die Sache mit den Schildern einfacher. Deutsche Verbotsschilder zeigt uns Manuel Fragoso, Metaphern der Engherzigkeit, Verdruckstheit. Wir stehen vor unserem Spiegelbild und sind geknickt.

Wie fröhlich und erhaben dagegen stellt sich Djorna Biswas das Leben der Tuaregs im heißen Wüstenstaub Afrikas oder der Samen im hohen Norden vor. Da werden uns fremde Kulturen näher gebracht. Die Farben der Bilder erinnern an die Broschüren, die mir die nette alte Dame von den Zeugen Jevoha zusteckte, und die Künstlerin ist in Wahrheit Kunsttherapeutin. Das erklärt viel.

Im „Cafe Blau“sind derzeit fünf mittelprächtige Bilder aus Afrika und fünf mitelprächtige Bilder aus Bremen zu sehen, eigentlich aber gar nicht so sehr die Bilder, sondern das durchaus ambitionierte Projekt dahinter.

„Losito“, ein winzigkleiner, völlig unvereinsmäßiger Verein für afrikanisch-europäischen Kulturaustausch, möchte dem ständigen Scheitern von abstrakten Multikultibeschwörungen und fehlgeleiteter Entwicklungshilfe etwas ganz Einfaches entgegensetzen: den direkten Kontakt, zum Beispiel zwischen einer Marktfrau aus Nyahode/Zimbabwe und einem Bremer Lehrer, angeregt, zum Beispiel, durch den Austausch von Zeichnungen. Die dürfen laienhaft sein, sollen es sein – und versöhnen mit mancher unfreiwilligen Laienhaftigkeit. Nach drei Studen Radelei dann vielleicht doch ein We-are-one-world-Gefühl: Engagement ist eben nicht einfach. Barbara Kern