Vom Soziologen zum Marketingchef

■ Die Chancen von GeisteswissenschaftlerInnen im harten Management waren Thema bei den diesjährigen Unigesprächen

Die Festrede zur Einweihung neuer Büroräume hatte der Versicherungsmanager mit einem Blick in die Zitatensammlung „Geflügelte Worte“von Georg Büchmann vorbereitet. Trotzdem machte er aus Herbert Marcuse „Herbert Marküüs“. Der Blick in die Zitatensammlung muß wohl doch etwas zu flüchtig und unwissend über die Bühne gegangen sein.

Mit dieser Anekdote begann die Personalberaterin Christine Kuhl ihren Vortrag über „Die Notwendigkeit zum Dialog zwischen Geisteswissenschaften und Wirtschaft“, den sie im Rahmen des 10. Universitätsgesprächs „Zwei Welten in der Krise“vor einer Woche gehalten hatte. Dabei ging es vor allem um die Frage: Haben die geisteswissenschaftlichen „Weltverbesserer“überhaupt Chancen im „toughen Management“?

Christine Kuhl ist eine Frau, die es wissen muß: Sie ist zum einen bei einem führenden Personalberatungsunternehmen angestellt, zum anderen hat sie ihren Magister in für ihre Branche ungewöhnlichen Studiengängen erworben: in Politologie sowie in Germanistik. So weiß sie denn auch viele ermutigende Beispiele für jene, die sich bei der Studiumwahl für Kafka und gegen die Bank“entschieden haben: Der Leiter des Marketingbereiches eines der größten Möbelhersteller Deutschlands ist Soziologe. Eine Kunsthistorikerin berät bei einer Frankfurter Privatbank die vermögenden Kunden beim Erwerb oder der Versicherung von Kunstobjekten. Ein Philosoph leitet Seminare für Führungskräfte und zu Fragen der Wirtschaftsethik – und als letztes Beispiel führte sie sich selber an.

Trotzdem gab sie bei der anschließenden Diskussion zu, daß sie ihren Job eher „trotz“und nicht „aufgrund“ihres Germanistikstudiums bekommen habe. Dabei gab ein Vertreter des Arbeitgeberverbandes Metall aus Gießen eigentlich keinen Anlaß zum Pessimismus für Absolventen der Geisteswissenschaften: Nur 4,5 Prozent aller Akademiker der Geisteswissenschaften seien arbeitslos. Die Zahl für alle Studienabgänger läge mit 4,3 Prozent nur geringfügig darunter. Alte Berufsbilder würden heute immer mehr verschwinden, 3/4 aller Hochschulabsolventen fänden eine Beschäftigung, die außerhalb der traditionellen Vorstellung von Arbeit in Wissenschaft und Forschung liegt.

Außerdem träte in der Wirtschaft immer mehr die Suche nach „Schlüsselqualifikationen“in den Vordergrund: Kreativität, Teamdenken und Kommunikationsgeschick seien gefragt.

Mit der Aufstellung dreier nicht ganz neuer Thesen endete schließlich der Vortrag: Die geisteswissenschaftliche Ausbildung und die außeruniversitäre Arbeitswelt sollten sich eine der anderen gegenüber mehr öffnen – und der Kafka-Student“müsse sich selbständig „Zusatzqualifikationen“erwerben. Diese seien notwendig, um später nicht als Fachspezialist für Fernsehsendungen wie dem Großen Preis zu landen – um hier abschließend die Frage zu stellen: Wie hieß Georg Büchner mit Vornamen?

Angela Siol