„Ich mag das nicht glauben“

■ Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehr-Verbandes, bezweifelt, daß eine rechtsradikale Gesinnung weit verbreitet ist

taz: Wie lange läßt sich angesichts des jüngsten Gewaltvideos eigentlich noch die These vertreten, es handele sich um Entgleisungen einzelner Soldaten? Wann wird aus einzelnen Vorfällen ein Skandal, der die Bundeswehr insgesamt betrifft?

Bernhard Gertz: Bis vor einem halben Jahr habe ich nicht geglaubt, daß überhaupt solche Videos in der Bundeswehr entstehen könnten. Jetzt muß ich etwas vorsichtiger sein. Bevor ich weiter davor warne, Pauschalurteile zu fällen, bevor ich daran festhalten kann, daß es sich nur um einen kleinen Kreis Verblendeter handelt, muß ich abwarten, was eine sehr sorgfältige Untersuchung zutage fördert.

Sie sehen also inzwischen auch die Möglichkeit rechtsradikaler Tendenzen in der Bundeswehr?

Das ist nicht die Bundeswehr, wie ich sie kenne. In mehr als 32 Jahren habe ich eine rechtsradikale Subkultur in der Bundeswehr nicht kennengelernt. Aber man muß zur Untersuchung des Hammelburg-Videos sagen, daß man nicht herausgefunden hat, daß es ein weiteres Video gibt. Vielleicht hat man versäumt, Zeugen die Dimension der Vorgangs ausreichend klar vor Augen zu stellen, denn sonst hätten sie wohl kaum aus falsch verstandener Kameradschaft geschwiegen.

Fürchten Sie denn, daß noch weitere solcher Gewaltvideos auftauchen?

Das weiß ich nicht. Ich hoffe es nicht, aber ich wage nicht mehr zu behaupten, es gebe keine weiteren.

Was sagen Sie zu dem Vorstoß von Verteidigungsminister Rühe, die Wehrersatzbehörden sollten Zugang zu Vorstrafenregistern erhalten, um Wehrpflichtige überprüfen zu können?

So einfach funktioniert das mit Sicherheit nicht. Es ist eine Güterabwägung zu treffen. Einerseits gibt es das Indvidualinteresse auf Datenschutz, also das Interesse daran, daß Vorstrafen Dritten nicht bekannt werden. Andererseits gibt es das Gemeinschaftsinteresse, daß in Uniformen gesteckt und an Waffen ausgebildet nur diejenigen werden, die mit ihrer Persönlichkeit die Gewähr dafür bieten, daß sie davon vernünftigen Gebrauch machen.

Und was folgt daraus?

Es muß eine neue Lösung erdacht werden, mit der ein ganz bestimmter Delikttypus, nämlich politisch motivierte Gewalttaten und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, erfaßt wird. Alle anderen Taten, also etwa Ladendiebstahl oder Fahren ohne Führerschein, haben uns nicht zu interessieren. Der Justizminister und der Verteidigungsminister müssen sich zusammensetzen. Dabei darf der Datenschutz sowenig wie möglich tangiert werden.

Was sagen Sie dazu, daß es in einigen Kasernen in den neuen Bundesländern angeblich einen fest etablierten Handel mit rechtsradikalem Material gibt?

Ich mag das nicht glauben. Zunächst einmal ist es die Erklärung eines Beschuldigten. Es kann sich also um eine Schutzbehauptung handeln.

Aber die Dimension eines solchen Vorgangs, wenn die Darstellung denn zutrifft, wäre so groß, daß man sich dann konkret fragen müßte, was wir beim Aufbau der Bundeswehr in den neuen Ländern falsch gemacht haben. Deshalb muß man dieser Behauptung unverzüglich nachgehen und sorgfältig ermitteln, ob sie denn stimmt. Interview: Bettina Gaus