„Am Ende werden Kinder geächtet“

■ Manfred Liebel, Soziologe und Berater von Organisationen arbeitender Kinder, hält nichts vom wohlmeinenden Paternalismus der Konferenz

Manfred Liebel ist Professor im Bereich Erziehungswissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Er hat sieben Jahre lang in Nicaragua den Organisierungsprozeß arbeitender Kinder begleitet.

taz: Sind Unicef und ILO mit ihrer Konferenz auf dem richtigen Weg?

Manfred Liebel: Unicef und ILO sind auf dem richtigen Weg, wenn sie sagen: Wir müssen uns auf die besonders gefährlichen Formen von Kinderarbeit konzentrieren. Aber sie sind auf dem falschen Wege, wenn sie die Stimmen der Kinder nicht berücksichtigen. Bei der Vorgängerkonferenz in Amsterdam waren Anfang des Jahres zum ersten Mal Vertreter der Organisationen arbeitender Kinder eingeladen. Sie haben durch ihre Art des Auftretens Delegierte wie Medien so verblüfft, daß erklärt wurde, man werde zukünftig die Kinderorganisationen besser einbeziehen. Aber besonders seitens einiger skandinavischer Regierungen und Gewerkschaften gab es Widerstand gegen mehr Partizipation der Kinder.

Also erleben wir einen Rückschritt Richtung Paternalismus?

Ja. Offenbar in Reaktion auf diese Kritik hat Unicef nun ein Forum im Internet eingerichtet, in dem sich Kinder zu dem Thema äußern sollen.

Die Kinder in Bangladeschs Textilfabriken haben ja bekanntlich fünf Internet-Anschlüsse in der Hosentasche...

Ist doch klar, daß sich hier kaum ein arbeitendes Kind äußern wird. Ich habe die Erklärung vorliegen, die ein Treffen der lateinamerikanischen Organisation arbeitender Kinder im August verabschiedet hat. Darin heißt es: „Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen hat für uns Kinder die Rechte festgelegt, angehört zu werden, uns zu organisieren, beschützt zu werden ... Man hört uns an, aber man berücksichtigt unsere Ansichten nicht. Man gibt uns das Recht, uns zu organisieren, aber unsere Organisationen werden nicht anerkannt. Man ,beschützt‘ uns, aber man läßt uns nicht an der Ausarbeitung solcher Schutzprogramme mitwirken ... Ja zur Arbeit, nein zur Ausbeutung.“

Ist das nicht ein Paradox? Kinderarbeit gibt es doch, weil Kinder leichter auszubeuten sind.

Richtig. Aber die Kinder sagen: Paternalismus hilft uns nicht weiter, wir müssen selber stärker werden. Die Erfahrung hat sie gelehrt, daß alle möglichen Maßnahmen von Regierungen oder UNO ihre Situation keinen Deut verbessern.

Ein Beispiel?

Um etwas gegen Kinderarbeit zu tun, hat der neue nicaraguanische Präsident Alemán Kinder von den Straßenkreuzungen polizeilich abräumen lassen. Nachdem Kinderorganisationen und Menschenrechtsgruppen heftig protestiert hatten, gab Alemán auf. Inzwischen versucht seine Regierung, den Eltern solcher Kinder mit dem Entzug des Sorgerechts zu drohen.

Auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestags wettert vehement gegen die Kinderarbeit, hierzulande wie anderswo.

Das klingt immer alles ganz schön, aber im Endeffekt schadet es den Kindern nur. Die Strategie der Ächtung der Kinderarbeit, wie sie die Bundesregierung oder auch die IG Textil vertritt, führt dazu, daß am Ende die Kinder selber geächtet werden. Interview: Ute Scheub