Die Blätter-Lüge

Ob Ahorn, Birke oder Eiche: Letztlich sind doch alle Laubbäume nur Pelletsbäume  ■ Von Judith Weber

Der Waldschrat will es nicht wahrhaben, und die Gärtnerin dementiert. Verzweifelt leugnen BiologInnen und verdrängen Förster, was der Herbst mit der Gelassenheit eines fallenden Blattes beweist: daß Laubbäume Pelletsbäume sind. Auf Laien mag ein schlapp-oranges Birkenblatt anders wirken als gammelige Eichenblätter, die zwischen Gullygittern vermodern. Aber letztlich sind beide Pellets: oval, etwa fingerkuppengroß und pillenähnlich – Produkte irgendeiner Preßmaschine, die Landwirte benutzen, um ihre Äcker aufzulockern.

Kaum dümpeln die Blätter zu Boden, verfärbt und unmotiviert, fallen sie einem der fünf Hamburger „Trilos“zum Opfer – stadteigene „Aufsetz-Container mit Saugrüsseln“, gebaut, um 100 Kubikmeter Laub zu schlucken. Ohne Völlegefühl verdauen die Trilos außerdem Spinnen, Käfer und andere Tierchen, die in den Blätterbergen wohnten. Kein Blatt so flatterig, daß es nicht aufgesogen würde. Kein Rascheln so leise, daß nicht eineR der 450 Stadtreinigungs-MitarbeiterInnen es hörte und die Blätter zusammenrechte; sie einsackte und der Pellets-Maschine auf der Veddel überantwortete.

Hier verklumpen Blätter-Leben zu gleichmacherischen Baumbehangs-Pillen. Hier reinigt die ETH Umwelttechnik GmbH jährlich rund 1000 Tonnen Hamburger Blätter. Und dann wird gepreßt. Gedrückt, verformt und mit Stickstoff gemischt, bis nur noch Pellets übrig sind. Die Strümpfe, Tennisbälle und Budni-Tüten, die versehentlich mit eingesammelt wurden, müssen dem Preß-Perfektionismus weichen. „Ordnungsgemäß ent–sorgt“werden sie, auf daß „die Qualität des Laubes besser“werde.

Vorbei sind die Zeiten, als Laub von Hauptstraßen so Abgas-verseucht war, daß es als Sondermüll galt. Als Autos noch verbleites Benzin tankten, so daß Pellets nicht gleich Pellets waren.

Mittlerweile sind alle Blätter gleich. Köttelförmig verarbeitet liegen sie auf Äckern und Feldern, gekauft von Bauern, die sich nicht scheren um Buche oder Lärche. Denn wo „Verbesserung der Bodenqualität“zum Sinn wechselnder Jahreszeiten wird, bleiben Baum-Stämme einfach auf der Strecke.