„Wehr dich doch, rotes Schwein!“

Durchgang oder Endstation: Ex-Gefangene erzählen vom KZ Fuhlsbüttel  ■ Von Ralf Streck

Auf eine Krücke gestützt steht er da. Sein kleiner Körper ist leicht nach vorne gebeugt. „Kurz nach der Machtübergabe 1933 an Hitler“, sagt Arnold Henke, „waren alle Gefängnisse übervoll. Dann erinnerte man sich wieder an das ehemalige Frauengefängnis.“Wie daraus das Konzentrationslager Fuhlsbüttel wurde, erzählt der 83jährige schnell und mit fester Stimme. Ein halbes Jahr lang war er gefangen in dem KZ; nun führt er BesucherInnen durch die 1987 eröffnete Gedenkstätte.

Zehn Jahre später, an einem herbstlichen Sonntagmorgen, verirren sich nur wenige Menschen hierher. Ihnen beschreiben die ehemaligen KZ-Häftlinge Arnold Henke und Werner Korupp, was sie erlebt haben: Erinnerungen, Fotos und Schriftstücke erzählen unter anderem von ihrer politischen Arbeit in der Jugendorganisation der SPD, der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Beide waren ab 1933 als Kuriere tätig – illegal.

„Ich wurde am 25. Januar 1935 als erster unserer Hamburger Gruppe verhaftet“, berichtet Henke. „In Schleswig war eine SAJ-Gruppe aufgeflogen, und unter Folter verriet jemand meinen Namen.“Fünf Beamte der Gestapo holten ihn an seinem Arbeitsplatz ab. Kaum saß er im Wagen, begann die Tortur. „Mit Schlagringen und Stöcken sind sie über mich hergefallen. In Fuhlsbüttel angelangt, warfen sie mich blutüberströmt in die Zelle neun.“

Während er das erzählt, zeigt Henke mit seinem Finger auf ein Bild in der Ecke. Im ehemaligen Torgebäude des Fuhlsbüttler Gefängnisses dokumentiert eine Ausstellung den Weg Tausender in andere Straf-, Konzentrations- oder Vernichtungslager. Für weit über hundert Gefangene bedeutete Fuhlsbüttel das Ende: Sie wurden erschlagen, gehenkt, erschossen, in den Tod getrieben oder starben aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen.

„Nachts nagten Ratten an mir herum. Wenn ich versuchte, sie zu verscheuchen, setzte es sofort wieder Schläge“, erklärt Henke. „Wehr dich doch, rotes Schwein, dann können wir dich gleich erschießen!“schrien seine Peiniger bei den Prügelorgien. Erst kurz vor seinem Prozeß im November 1935 habe sich die Lage verbessert. Henke wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis auf der Strafinsel Hahnöfersand verurteilt.

Vor zehn Jahren hat der Lehrer die Gedenkstätte mit eingeweiht. Viele Führungen später weiß er: „Die meisten Schüler sind wirklich betroffen von dem, was wir zu erzählen haben.“

Die Veranstaltungswochen zum zehnjährigen Bestehen der Gedenkstätte dauern noch bis zum 9. November. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Ehemalige Häftlinge verschiedener Verbände stehen für Führungen und Gesprächsrunden zur Verfügung. Außerdem gibt es Vorträge und Lesungen ehemals verfolgter Sozialdemokraten, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und der Willi-Bredel-Gesellschaft. Infos unter 34 89 03 25