Lyriker mit Spaß am Pflichtfach

■ Begegnung mit dem Buffotenor Ralf Simon / Psst: Er ist begeistert von Hans Kresnik

„Das ist eine schöne Geschichte, die erzähl ich so gerne“, sagt Ralf Simon zu der obligatorischen Frage, wie er zum Singen und zu der Entscheidung gekommen ist, aus dem Singen einen Beruf zu machen. Eigentlich wollte er Fotograf werden, aber, so wußte er sehr genau, nicht in der Werbung. Die Ausbildungen, die ihn interessierten, waren unbezahlbar und ein Semester „Visuelle Kommunikation“an der Technischen Hochschule in Darmstadt brachte es auch nicht. Musik hat er schon immer gemacht, aber ohne Ehrgeiz: Schulchor, selbstgelernte Gitarre aus den Beatlesbuch, dann sang er lange Countertenor und Tenor – aus Spaß. Eine Entscheidung drängte: „Was macht mir wirklich Spaß, und was macht mir ein Leben lang Spaß?“waren seine zentralen Fragen. „Geh doch Deinen Talenten nach“, sagten die Freunde und meinten die Musik. Doch er konnte keine Noten lesen und hatte keine Ahnung von Theorie und Musikgeschichte. „Doch nach meiner Entscheidung ging alles ganz schnell: Ich paukte Musikgeschichte, ich ließ das Countertenorsingen, weil das ganz anders die Kehlkopfmuskeln belastet, und ich fand meinen Traumlehrer“. Das war der heute fast 80jährige Martin Gründler in Frankfurt: Für drei Generationen einer der nachhaltigsten Gesangslehrer Deutschlands. „Ich bin ihm auf die Nerven gegangen, bis er mich nahm“, und dann schaffte Ralf Simon eine normalerweise sechsjährige Ausbildung in dreieinhalb Jahren.

Nach der Ausbildung fühlte er sich für die Verpflichtung in ein Opernensemble noch nicht reif genug, und er suchte nach Opernstudios, die einigen Opernhäusern angeschlossen sind: Von 500 BewerberInnen wurden an der französischen Bastille-Oper 17 genommen, Ralf Simon war dabei. Ebenso am Opernstudio in Düsseldorf, wo er sich ein Jahr lang ausprobierte. Bei Paul Esswood hat er Barocksingen gelernt, „da macht mir keiner mehr was vor“.

Ralf Simon ist am Bremer Theater als „Buffotenor mit lyrischer Verpflichtung nach Individualität“engagiert: Das geheimnisvolle Bühnenvertragsdeutsch bedeutet, daß er bei einem möglichen und von ihm auch gewünschten Ausflug ins lyrische Fach mitsprechen darf. Lyrischer Tenor will er also werden, im Unterschied zu seinem Kollegen Uwe Eikötter, der ins deutsche Charakterfach drängt. Sein Vorbild ist neben Franz Völker der zu früh verstorbene Fritz Wunderlich: Der konnte genau das, was Martin Gründler gesagt hat – „gib Deiner Seele durch die Technik ein Gefäß, in der sie sich ausdrückt“.

Im umstrittenen Bremer Fidelio singt er einen neurotischen Jacquino und ist begeistert von den Anregungen des Regisseurs Hans Kresnik. Zu Inszenierungen liest er, „nur die Beschäftigung mit Vergangenheit kann Gegenwart verstehen lernen und Zukunft gestalten“– große, aber eben nicht selbstverständliche Worte über einen Beruf, bei dem sowohl die Ausübenden als auch das Publikum immer auch Gefahr laufen, im gedankenlosen Fantum zu versinken. Das abschreckendste Beispiel unserer „Kulturlandschaft“ist die erfolgreiche Welttournee der „drei Tenöre“. Sicher keine Gefahr bei Ralf Simon, dessen Hobbys Filme, Lesen und Fotografieren sind – und Spielen, wenn er Zeit hat. Und er singt Lied: „Das Lied ist eine technische Herausforderung ohnegleichen, da wird der noch so kleinste Fehler gehört“. In mehrerer Hinsicht ein Anti-Tenor, auf dessen Entwicklung man gespannt sein darf. Ute Schalz-Laurenze