: Freiheit, die ich nicht meine
Der Scientology-Tag endete mit einem „interreligiösen Gottesdienst“ auf dem Breitscheidplatz. „Die Internationale Vereinigung der Scientologen bist du“, erfuhr dort ■ Kolja Mensing
Popmusik ist eine Sache von Ja oder Nein. Ein logisches Ausschlußverfahren: Entweder bist du für die Spice Girls oder nicht. Genauso ist es mit Fußball: Schalke oder St. Pauli, ein Drittes wird nicht gegeben. Und natürlich mit den Scientologen. Wer sich nicht entscheiden will, kann zu Hause bleiben.
Am Montag abend auf dem Breitscheidplatz wird mir dieses Dilemma bewußt. Denn hier endet mit einem „interreligiösen Gottesdienst“ der Scientology-Tag. Paddy, ein Schotte im langen Mantel, sieht mir die Zweifel an und weiß auch, wie man mit Journalisten redet: „Do you have an opinion on this?“ Ich soll mich schnell entscheiden, Paddy fragt nach jedem Satz nach, ob ich ihm zustimme: daß Scientologen auch Menschen seien. Daß deutsche Scientologen auch gute Bürger seien. Und ich objektiv und ehrenhaft. Oder? Er erklärt mir dann noch, daß die Regierung in Deutschland wechseln müsse („Right?“). Eigentlich bin ich froh, daß Paddy mich überhaupt angesprochen hat. Meine gewissenhaften Notizen haben nämlich zunächst nur böse Blicke auf mich gezogen. Offensichtlich hält man mich für einen schlecht getarnten Beobachter des Verfassungsschutzes, um die Geheimrituale des „Molochs“ auszuspionieren.
Tatsächlich ertappe ich mich schnell bei den ersten Anzeichen von konspirativer Paranoia: Hatte das bei den drei mutmaßlichen Scientologen dort drüben nicht gerade nach Hasch gerochen? Aber als ich mich unbeteiligten Blicks nähere, haben sie alle nur Filterzigaretten in der Hand. Ich komme mir vor wie ein 47jähriger Studienrat auf einer Schulfest-Disko: Die Menschen um mich herum verhalten sich merkwürdig, und die Musik gefällt mir auch nicht. „Die Freedom Kids aus Dänemark“, grölt Andrik Schapers, anscheinend der niederländische Entertainment-Beauftragte der Scientologen, vor der Gedächtniskirche in sein Mikrofon. Und die „Freedom Kids“ kündigen ihr „Lieblingslied“: „Freude schöner Götterfunken“ in der HipHop-Version. Später singt noch der Internationale Scientology-Chor ein paar Lieder, die alle das Wort „Freiheit“ enthalten.
Denn darum geht es: Freiheit. „Für religiöse Freiheit und Toleranz – Ich bin dabei“ steht auf den Luftballons, die über den Gottesdienstlern schweben. Wie jenes höchste Wesen, an das die Scientologen glauben und das nur heute und für diesen „Gottesdienst“ einmal „Gott“ heißen darf.
Freiheit ist natürlich etwas Gutes, würde ich Paddy gerne sagen, der sich inzwischen aber zwei sehr stoischen Polizisten zugewandt hat und ihnen sein Ding erklärt: daß zum Beispiel der evangelischen Kirche viele Immobilien gehören. („Do you agree?“) Auch ohne Paddy: Ich muß mich nun wirklich entscheiden. Für oder gegen die Masse. Oder dafür, wie viele Menschen diese Masse eigentlich zählt. Dreihundert, würde ich schätzen, zögere aber, weil mir die nette Frau Weber, Sprecherin der Scientologen, gerade erklärt hat, daß mittags vor dem Brandenburger Tor zehntausend Menschen demonstriert hätten: „Auch wenn gewisse Presseleute das natürlich sofort in Radio- und Agenturmeldungen auf eine Zahl von dreitausend heruntergespielt haben.“
Außerdem hätte ich gerne eine Kerze, weil mir so kalt ist und im warmen Kentucky Fried Chicken im Europa-Center kein Platz mehr ist. Der ist voll mit menschenrechtsbegeisterten Amerikanern. Hier draußen haben allerdings alle Menschen eine Kerze in der Hand – links, denn rechts halten sie die Luftballonschnur – und heben die Flamme hoch, wenn Anheizer Schapers auf der Bühne in einer Mischung aus Joan Baez und Arlo Guthrie eine Variation über das Thema „Freedom“ shantet. Aber weil ich so objektiv sein möchte und das Paddy ja auch versprochen habe, friere ich lieber noch ein bißchen.
Das Schöne ist, daß mir die Entscheidung am Ende von der „straff organisierten Firma“ abgenommen wird. Gegen halb zehn ist der Religions-Rave vorbei, und weil der Heimweg für die meisten Teilnehmer so lang und kompliziert ist, organisiert Schapers straff und mit rauchiger Stimme den Chill-out: „Wer heute abend noch einen Flug gebucht hat, stellt sich mal hier rüber.“ Und brüllt ein paar warme Worte als Wegzehrung heraus: „Wenn sich hier jemand fragt, was die Internationale Vereinigung der Scientologen ist: It's you.“
„It's you.“ Ich erschaudere. Ich greife mir einen Luftballon. Ich zünde eine Kerze an. Ich bin dabei, ich bin ein ehrenhafter Mann, und wenn Andrik Schapers es erlaubt, habe auch ich an diesem Abend einen Flug in die Freiheit gebucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen