Grüne beraten Reformprogramm

■ Nach fast einjähriger zäher Vorbereitung debattiert der Parteitag am Wochenende über Reformprojekte. Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik genießt einen sehr hohen Stellenwert

Die Grünen werden bei ihrem zweitägigen Parteitag am Wochenende über ein Reformprogramm für die nächste Legislaturperiode beraten. Ein erster Entwurf war im Juni von der Landesdelegiertenkonferenz als unausgegoren verworfen worden. Seitdem ist die Partei blockiert, weil zu wesentlichen Politikfeldern keine Beschlüsse zur künftigen Politk vorliegen, beklagt der Landesvorstand.

Was im November vergangenen Jahres vom damaligen Vorstandsmitglied Christian Ströbele als Idee eines „Regierungsprogrammes“ lanciert wurde, nahm in endlosen Arbeitsgruppensitzungen nur langsam Gestalt an. Auch nach fast einjähriger Arbeit liegt noch kein Konzept vor, das aus einem Guß ist. Inzwischen wurden die Grünen von der PDS überholt, die ihr reformpolitisches Sofortprogramm Anfang Oktober vorgelegt hat. Höchste Priorität räumen die Grünen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik ein. Von der Arbeitszeitverkürzung auch im öffentlichen Dienst erhofft man sich neue Jobs. Angestrebt wird auch eine Neuauflage des Bündnisses für Arbeit, das diesen Namen verdient.

Der Entwurf enthält aber auch einige traumtänzerische Vorstellungen. So heißt es: Die „Umverteilung von Arbeit und Einkommen zwischen denen, die bezahlte Arbeit haben und denen, die erwerbslos sind [...] ist eine der größten Herausforderungen, denen die Gesellschaft gegenübersteht“. Wie eine „gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit“ hergestellt werden könnte, wird aber nicht ausgeführt. Auch die Forderung, daß Wohnungen, die länger als drei Monate leer stehen, durch das zuständige Bezirksamt Obdachlosen zugewiesen werden sollen, dürfte in der Praxis kaum durchzusetzen sein.

Das Konzept zur inneren Sicherheit trägt unverkennbar die Handschrift der Abgeordneten Renate Künast. In Präventionsräten sollen BürgerInnen daran mitwirken, ihr Wohnumfeld sicherer zu machen.

In der Verkehrspolitik setzen die Grünen auf den Ausbau der Straßenbahn. Mit einer Nahverkehrsabgabe für AutofahrerInnen, die mit dem Kauf einer Umweltkarte reduziert werden kann, soll ein Anreiz zur Benutzung des Öffentlichen Nahverkehrs geschaffen werden. In der Umweltpolitik soll für Neubauten und bei Modernisierungen der Einbau von Solaranlagen vorgeschrieben werden. Ein Umweltrat, in dem Umweltverbände und Wissenschaftler mitarbeiten, soll ein Programm „Berlin – Ökostadt 2000“ erarbeiten und die Umsetzung begleiten.

In der Stadtentwicklungspolitik sieht der Entwurf Abstriche bei Neubau-Wohnsiedlungen vor. Die Gelder sollen statt dessen stärker in die Stadterneuerung und Verbesserung des Wohnumfeldes gelenkt werden. Eine kontroverse Debatte wird zu dem Vorschlag von Franziska Eichstädt-Bohlig erwartet, für 500 Millionen Mark jährlich Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft an Genossenschaften zu verkaufen. Unterschiedliche Vorstellungen bestehen auch über die Zukunft der bislang mehrheitlich landeseigenen Energie-, Wasser- und Müllentsorgungsunternehmen.

Ein Beschluß über die endgültige Fassung des Reformprogramms soll erst im Januar nächsten Jahres fallen. Die politische Präambel soll eine klare Aussage für ein rot-grünes Regierungsbündnis enthalten. Dorothee Winden