Keine Aufträge, horrende Preise

■ In Thailand ist die Finanzkrise spürbar: Viele Betriebe stehen vor der Pleite, Geschäfte und Fabriken entlassen ihre Angestellten

Eines Morgens standen die Arbeiterinnen der „555“-Möbelfabrik in Bangkok vor verrammelten Türen. Über Nacht und ohne Vorwarnung hatte die Geschäftsführung den Betrieb geschlossen. Begründung: Wegen der Wirtschaftskrise in Thailand gäbe es keine Aufträge mehr. Zwei Monate lang warteten die 135 Beschäftigten auf ihren Lohn. Jetzt sitzen sie auf dem Zementboden vor dem Fabrikgebäude und wollen dort solange ausharren, bis sie ihr Geld bekommen.

Für die 58jährige Ubon Pamkuon, die seit 1987 für knapp zehn Mark am Tag in dem Betrieb arbeitete, ist die Lage verzweifelt. Sie hat sich für die Ausbildung ihrer Kinder hoch verschuldet und weiß nicht, wie sie die 3.000 Mark nun abstottern soll. Die Wirtschafts- und Finanzkrise in Südostasien hat Thailand besonders hart getroffen: Eine Million Menschen, so schätzte Ex-Finanzminister Thanong Bidaya, könnten bis zum Ende des Jahres ihre Arbeit verlieren. Damit würde sich die Zahl der Arbeitslosen mehr als verdoppeln.

Baustellen sind verwaist, Zehntausende Betriebe stehen vor der Pleite, 58 von 91 Finanzinstituten des Landes sind geschlossen. Auch bislang gesunde Firmen erhalten kaum noch die dringend benötigten Exportkredite und geraten in Bedrängnis. Geschäfte, Restaurants, Versicherungen, Reisebüros, Textil- und Motorradfabriken entlassen ihre Angestellten und fahren Kurzarbeit. Der 27jährige Chan Korket, der seit acht Jahren in der Thai-Suzuki-Fabrik am Stadtrand von Bangkok Motorräder zusammenbaut, darf nur noch drei Tage in der Woche arbeiten. Dafür hat er am Monatsende statt 7.770 nur noch 5.714 Baht (286 Mark) in der Lohntüte. Jüngstes Angebot der Firmenleitung: Wer innerhalb von zwei Wochen freiwillig geht, erhält eine Abfindung. Für Chan wären das 2.700 Mark.

Die Manager des Unternehmens klagen, daß sie in diesem Jahr ein Drittel weniger Motorräder verkauft haben als 1996. Die Kunden sind knapp bei Kasse. Angestellte suchen mittlerweile einen Zweitjob, verkaufen Blumen oder Imbisse am Straßenrand. Fast täglich berichten die Zeitungen von Selbstmorden verzweifelter Kaufleute. An den Straßenecken Bangkoks hocken die Motorradtaxi- Fahrer über ihren Dame-Brettern und schieben die Kronkorken hin und her, weil die Kundschaft auf die billigeren Busse umgestiegen ist. Auch ihre Kollegen in den Auto-Taxis wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen: „Ich habe früher 700 bis 800 Baht (rund 40 Mark) am Tag verdient“, sagt ein übermüdeter Fahrer, der schon seit über zwölf Stunden am Lenkrad sitzt. „Heute komme ich höchstens auf 500 Baht.“

Taxi-Unternehmer Boonkham Srihasoi verdiente mit seinen 400 Wagen umgerechnet über 5.000 Mark am Tag. Jetzt bleibt mehr als die Hälfte der Fahrzeuge im Depot, weil die Fahrer die Miete nicht mehr aufbringen können. Dabei steigen die Preise: Ein Kilo Jasminreis kostet heute 23 statt 14 Baht, Speiseöl ist ein Viertel teurer als zuvor. Viele Männer und Frauen, die erst vor wenigen Jahren ihre Felder verließen, weil sie sich als Tagelöhner in Bangkok ein besseres Leben erhofften, kehren mittellos in ihre Dörfer zurück. Besonders dramatisch ist die Lage für die zahlreichen illegalen Arbeiterinnen aus Kambodscha und Burma. Viele werden in der Prostitution landen, fürchten Gewerkschafter, oder sie müssen wie Sklaven in kleinen Zulieferbetrieben schuften. Möglicherweise wird die Regierung wieder die Emigration ungelernter Arbeitskräfte wie in den achtziger Jahren fördern, als Zehntausende nach Saudi-Arabien gingen. Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen. Die Aktienkurse fallen unaufhaltsam weiter, der Baht hat seit Juli über 30 Prozent seines Werts gegenüber dem Dollar verloren.

Ob die Bauern, die zum großen Teil vom Boom der letzten Jahre wenig abbekommen haben, vom Verfall der Währung profitieren können, wird sich erst zeigen. Vielleicht können sie ihren Reis besser auf dem Weltmarkt verkaufen. Allerdings hat es in diesem Jahr eine Dürre gegeben, die sich auf die Ernte auswirkt. Und der importierte Dünger ist teurer geworden. Jutta Lietsch, Bangkok