Analytisch in die Einsamkeit

■ Reisen in das verkümmerte Ding Ich: Eine Reihe mit Filmen von Ingmar Bergman im B-Movie das verkümmerte Ding Ich

Wer alt ist, heißt es, kann sein Leben betrachten wie einen Film. Meist ist das dann ein Film voller Lügen, in dem man den Helden spielen darf. Pech, wenn dieser Film von Ingmar Bergman inszeniert worden ist, bei dem die bittere Wahrheit stets über den wonnigen Selbstbetrug siegt.

Professor Isak Borg zum Beispiel hätte es nun wirklich verdient, nur von schönen Erinnerungen heimgesucht zu werden. Schließlich ist er ein echter Menschenfreund: Für seine humanitären Großtaten wird er von aller Welt geschätzt, jetzt soll er für sein 50jähriges Wirken im Dienst der guten Sache mit einer Auszeichnung bedacht werden. Doch seine Reise zum Ort der Ehrung, die er mit seiner Schwiegertochter unternimmt, wird eine Reise ins Ich, und das Ich ist hier ein recht verkümmertes Ding.

Eigentlich sind Rückblenden ein Fluch, viel zu oft werden sie als Krücken für einfältige Psychologisierungen mißbraucht. Doch die Szenen aus Wilde Erdbeeren, in denen Ingmar Bergman 1957 Professor Borg noch einmal den Film seiner Jugend sehen läßt, gehören zu jenen Momenten der Wahrhaftigkeit, für die das Kino erfunden worden ist. Weil es den Bruchteil einer Sekunde visualisieren kann, der dafür verantwortlich ist, daß ein Mensch wird, was er dann später sein Leben lang sein muß.

Eben wie Professor Borg, der noch einmal mit ansieht, wie sich seine Jugendliebe leidenschaftlich einem anderen hingibt. Das sind Dinge, die seinen analytischen Verstand überfordert hatten, weshalb er sich danach leidenschaftlich höchstens der Wissenschaft hingab – das Recht immer auf seiner Seite, das Gefühl begraben.

Unerträglich ist die Seelenschau von Ingmar Bergman: Moral führt hier geradewegs zum Selbstbetrug, die Analyse in die Einsamkeit. Und die Sprache zur Sprachlosigkeit. Der zentrale von Bergmans gut drei Dutzend Kinofilmen ist Das Schweigen aus dem Jahr 1962, der die Geschichte zweier Schwestern erzählt: Ester ist Übersetzerin, also eigentlich in allen Idiomen dieser Welt zuhause, mit Anna und deren Sohn Johan aber reist sie in ein fremdes Land, in dem nicht einmal sie sich verständigen kann.

Natürlich ist das eine Analogie auf das Schweigen zwischen den Menschen, die in diesem Trauerspiel zwar beim Gesellschaftsakt stöhnen oder in ihrem Schmerz winseln, aber ansonsten kaum Laute von sich geben, die ein Gegenüber verstehen könnte. Unmöglich ist es hier den Menschen, Kontakt aufzunehmen, obwohl Ingmar Bergman sie doch mit austarierten Tiefenschärfen und fließenden Schnittfolgen bedeutungsschwer zueinander positioniert.

Zum Schluß bleibt Ester in dem Land zum Sterben zurück, und der kleine Johan, der all den Haß und den Kampf zwischen den Schwestern beobachtet hat, ohne ihn zu verstehen, liest im Zug einen Abschiedsbrief seiner Tante. In einer Sprache, die ihm fremd ist.

Wenn kein Mensch Antwort weiß, fragt man eben Gott. So wie der Fischer in Licht im Winter, der zum Geistlichen geht, weil er das Leben nicht mehr ertragen kann. Ein paar Stunden später hat er sich umgebracht. Kein Wunder-Pfarrer Tomas Ericson, den der Lebensmüde aufgesucht hatte, ist alles andere als ein Trostspender. Seinen Beruf übt er aus, weil ihn seine Familie einst dazu gezwungen hat, und atmen tut er nur noch, weil ihm nichts anderes einfällt. Licht im Winter entstand ein Jahr vor Das Schweigen, und vielleicht ist es der purste Film des schwedischen Regisseurs, der selbst in der strengen Umgebung eines Pfarrhauses aufwuchs. Die Bilder sind karg wie eine skandinavische Dorfkirche, das Innenleben der Figuren so leer wie die Kirchenbänke beim ungeliebten Pfaffen. Am Ende wird die Messe zelebriert, als sei nichts passiert.

Manchmal aber wird bei Ingmar Bergman das Schweigen durchbrochen. Nur kriegt das der Zuschauer bei all der monströsen Leere und dem gigantischen Schmerz, die still und stoisch die Leinwand vereinnahmen, kaum mit. Der alte Professor Isak Borg in Wilde Erdbeeren immerhin sagt der Schwiegertochter nach seiner langen, langen Reise, daß er sie irgendwie mag. Eine der schönsten Liebeserklärungen des Kinos ist das.

Christian Buß

Wilde Erdbeeren : heute 30. Oktober, Sa 1. und So 2.November

Das siebente Siegel : Do 6., Sa. 8. und So 9. November

Licht im Winter : Do 13., Sa 15. und So 16. November

Persona: Do 27., Sa 29. und So 30. November, jeweils um 20.30 Uhr

Hörspielmatinee mit Die Stadt von Heinz von Kramer und Ein Bergman-Sommer von Karin Gerkow, So 23. November, um 11.30 Uhr

Alle Filme und Hörspiele laufen im B-Movie.