"Die Führung fehlt"

■ Walter Momper kritisiert die SPD: Sie habe sich in der Großen Koalition "kuschelig" eingerichtet und knicke politisch aus Angst vor der ÖTV ein

Herr Momper, wollen Sie wieder in die aktive Politik zurück?

Walter Momper: Das hängt ja nicht allein von mir ab. Sie können ziemlich sicher sein, daß große Teile der SPD dagegen sein werden, daß ich wieder an der Spitze Politik mache.

Was spricht gegen ein Comeback?

Eine Mehrheit der Funktionäre ist sich in einem immer einig: Mich wollen sie nicht. Sie wollen keinen, der ihnen sagt, wo es politisch langgeht. Gegenwärtig macht in der SPD jeder das, was er für richtig hält. Eine einheitliche Linie ist nicht erkennbar. Da lebt es sich für den einzelnen ganz bequem.

Sie kritisieren, daß es gegenwärtig keine Führung in der SPD gibt. Wer wäre denn in der Lage, die SPD zu führen?

Das sind nicht Fragen, die sich an ein Individuum richten. Nicht an den Parteivorsitzenden Detlef Dzembritzki, nicht an Fraktionschef Klaus Böger und auch nicht an Momper. Die Führungsschicht in der SPD muß sich einig sein zu führen. Gegenwärtig ist die Situation im wesentlichen durch die Abwesenheit jeglicher Führung gekennzeichnet. Es gibt kein Programm, und dann bleiben auch die Wähler aus. Das liegt nicht an einer Person. Ich kritisiere die Führung der SPD, sowohl die Partei- als auch die Fraktionsspitze dafür, daß sie der SPD nach außen kein klares und unverwechselbares Profil gibt. Bis auf relativ wenige Fragen ist gar nicht klar, was die SPD eigentlich will. In der Finanzpolitik sorgt Senatorin Annette Fugmann-Heesing für einen klaren Kurs. Der wird dann zuweilen durch die Ängstlichkeit der Parteiführung – zum Beispiel auf dem letzten Parteitag, als die Entscheidung über die Vermögensveräußerung vertagt wurde – eher verwischt. Oder auch durch vorwitzige Äußerungen von Umweltsenator Peter Strieder, der einen Zukunftsfonds fordert, obwohl das Geld dafür nicht da ist. Eine klare Linie gibt es in der Frage der Bezirksreform. Aber in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik, der Kulturpolitik oder auch der Baupolitik fehlt es an Profil. Ich wüßte auf diesen Feldern aus den letzten zwölf Monaten kein einziges Beispiel, wo die Sozialdemokratie mit einer Forderung an die Öffentlichkeit gegangen ist, für sie gekämpft oder sie umgesetzt hätte.

Woran liegt das? Ist dies auf eine Umbruchsituation in der SPD zurückzuführen?

Die ganze Stadt ist in einer Umbruchsituation. Eine Neuorientierung der SPD findet in Teilbereichen ja statt, zum Beispiel in der Finanzpolitik oder der Frage, in welchem Umfang die öffentlichen Betriebe privatisiert werden sollen. Meine Kritik lautet: Die Führung ist schlapp. Politische Führung bedeutet nicht, daß einer sagt, da müssen wir hin. Politische Führung ist ein umfassender Begriff. Es muß eine klare Vorstellung vom Programm geben und auf dieser inhaltlichen Basis muß geführt werden. Das fehlt in der Berliner SPD.

Aber liegt das nicht auch daran, daß die Partei über den neuen Kurs gespalten ist? Nicht umsonst wurde auf dem letzten Parteitag die Frage der Vermögensveräußerung vertagt.

Den Parteitag abzubrechen, war völlig unnötig.

Aber es bestand doch die Befürchtung, daß die Delegierten die Pläne für den Verkauf von Landesvermögen nicht mittragen. Das wäre ein Debakel gewesen.

Meine Beobachtung ist eine andere. Es gab eine klare Mehrheit für den Antrag. Es lag allein an der Ängstlichkeit der Parteiführung. Die haben Angst vor den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. ÖTV-Chef Kurt Lange schleicht auf den Parteitagen herum und schaut sich an, wie einzelne Delegierte abstimmen. Das ist doch abenteuerlich. Die Zustimmung gerade zur Finanzpolitik ist innerparteilich viel größer als nach außen hin dargestellt wird. Der Abbruch der Debatte auf dem Parteitag hat einen verheerenden Eindruck hinterlassen.

Sie sind seit einem Jahr Vorsitzender des Fachausschusses Wirtschaft und Arbeit. Was für Konzepte haben Sie dort entwickelt?

Wir wollen dort einen Beitrag zur Modernisierungsdiskussion in der SPD leisten. Das mit Abstand beste, was es derzeit gibt, ist der Antrag der Bundesvorstands, der immer als Schröder-Papier bezeichnet wird. Das ist auch mein Modernisierungsprogramm für die SPD. Da sind zwar auch Schwächen drin...

Was müßte man ändern?

Der sozialpolitische Teil ist zu kurz und unzureichend, der gehört da aber auch gar nicht rein. Was forsch ist und was auch meiner Auffassung entspricht, ist die Forderung, den Staat auf die Kernaufgaben zu reduzieren. Das muß runterbuchstabiert werden auf die Landesebene. Daran arbeiten wir im Moment. Außerdem haben wir uns dafür stark gemacht, daß im Frühjahr ein Themenparteitag zu den Feldern Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Technologie und Innovation stattfindet.

Aber ließe sich das, was Sie als Wirtschafts- und Finanzprogramm beschreiben, mit einer rot- grünen Regierung umsetzen?

Ich drohe immer allen damit, daß Annette Fugmann-Heesing Regierende Bürgermeisterin wird und Michaele Schreyer Finanzsenatorin. Dann sehen die Lobbyisten keine Sonne mehr. Schreyer übertrifft Fugmann-Heesing ja noch in der Radikalität ihrer Vorschläge. Eine wirkliche Sparpolitik kann nur mit den Grünen gemacht werden, nicht mit der CDU.

Sie haben in der Debatte um die Privatisierung von Landesbetrieben das polemische Schlagwort vom „ÖTV-Staat" geprägt. Was muß sich ändern?

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, vor allem die ÖTV, haben in weiten politischen Bereichen einen unangemessenen Einfluß. Verwaltungshandeln wird weithin vom Einfluß der ÖTV bestimmt, und zwar einem sachfremden, der mit den Unternehmenszielen nichts zu tun hat. Es geht der ÖTV darum, die eigene Machtbasis zu erhalten. Das ist in Berlin besonders ausgeprägt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Bei der Debatte um die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften argumentiert die ÖTV heuchlerisch mit der Sicherheit der Mieter. Der ÖTV geht es aber darum, ihren Einfluß zu wahren, und dazu müssen die Wohnungsbaugesellschaften bei der öffentlichen Hand bleiben. Es kann keiner ernsthaft behaupten, daß die Mietersicherheit bei einem großen privaten Vermieter geringer sei. Solche Gesellschaften müssen nicht im öffentlichen Besitz sein.

Trotzdem könnte die SPD doch konstruktiv mit der ÖTV für die Arbeitnehmerinteressen zusammenarbeiten anstatt sich Polemiken an den Kopf zu werfen.

Es ist doch immer die Masche der ÖTV zu sagen, es geht um Arbeitnehmerinteressen. Dabei sind es die Interessen der öffentlich Bediensteten, deren Arbeitsplätze doch am sichersten sind. Bei den Industriegewerkschaften achte ich als Sozialdemokrat peinlichst darauf, meine Politik ganz eng mit ihnen abzustimmen. Im privaten Sektor sind die Arbeitsplätze viel ungesicherter. Aber wie klingt es denn aus der ÖTV? Herr Lange droht der SPD damit, er würde aus der Partei austreten. Wenn ich noch Landesvorsitzender wäre, hätte ich ihm gleich das Parteibuch abgenommen.

Was bedeutet Ihre Forderung, den „ÖTV-Staat“ abzubauen?

Die öffentlichen Betriebe müssen, soweit es eben geht, privatisiert werden, weil die private Aufgabenerfüllung dieser bislang öffentlichen Aufgaben besser, effizienter und vor allem auch noch billiger ist.

Befürworten Sie auch betriebsbedingte Kündigungen?

Unverändert halte ich betriebsbedingte Kündigungen in der Verwaltung für geboten. Das Problem ist doch folgendes: Die Sparpolitik des Landes ist beim Personalabbau an die Grenze gekommen. Derzeit sitzen mehr als 9.000 Leute auf Überhangstellen. Sie können noch mehr in den Überhang schicken, aber Sie müssen sie nach wie vor bezahlen. Das Problem des Haushalts sind die zu hohen Personalkosten. Es muß nicht die betriebsbedingte Kündgung sein, nur ist mir bislang auch nichts Besseres eingefallen.

Glauben Sie, daß das mit Rot- Grün zu machen ist?

Ich bin überzeugt, daß das mit Rot-Grün leichter geht als mit der CDU.

Mit der grünen Lehrer- und Beamtenpartei?

Ich habe genug Erfahrung mit den Grünen. Ich kenne deren Tollitäten. Aber die haben auch nicht mehr Verrückte in der Partei als SPD oder CDU. Ich bin überzeugt, daß die Grünen beweglicher sind. Die Berliner CDU ist die Besitzstandswahrerpartei. Aber es ist Betrug an den Bürgern zu behaupten, alles bleibt, wie es ist. Die Mehrheit der Bürger ist bereit, den Weg mitzugehen, wenn ein Ziel für die Stadt der Zukunft definiert wird.

Die Debatte um Innere Sicherheit war im Sommer von dem New Yorker Modell der unnachsichtigen Verfolgung von Bagatelldelikten geprägt? Bliebe uns das unter Rot-Grün erspart?

Das geht ja selbst CDU-Leuten über die Hutschnur. Bei den rot- grünen Gesprächen zu Innerer Sicherheit im Wahlkampf vor zwei Jahren war die Übereinstimmung in dieser Frage größer als alle angenommen hatten. Da sind sich SPD und Grüne näher als SPD und CDU. Ich halte nichts davon, mehr Polizei auf die Straße zu schicken. Das führt nur zur Verdrängung von Drogenhändlern, Drogenabhängigen und Obdachlosen. Statt dessen müssen die Teile der Polizei gestärkt werden, die Schwerverbrechern auf der Spur sind.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten ist es für die SPD schwierig, in einer Großen Koalition ein Klima für Rot-Grün zu schaffen.

Wenn man ersthaft Rot-Grün will, muß es einen längeren Prozeß der inhaltlichen Annäherung geben. Das war 1989 leichter, weil beide Parteien in der Opposition waren. Es genügt nicht, die Parteiprogramme nebeneinanderzulegen und abzuhaken, wo man übereinstimmt. Daran muß man arbeiten. Das wird leider von der Parteiführung der SPD nicht gemacht, weil viele sich viel zu kuschelig fühlen in der Großen Koalition. Die wollen wenig Verantwortung tragen, und im Zweifelsfall ist immer die CDU schuld.

Nach sieben Jahren Großer Koalition hat die Masse der Leute in der Stadt – auch ganz konservative – die Große Koalition satt. Die Große Koalition ist die institutionalisierte Unbeweglichkeit, die organisierte Verantwortungslosigkeit. Das wollen die Bürger nicht mehr. Eine Große Koalition kann auf Dauer nicht gutgehen. Die Demokratie lebt vom Wechsel. Es ist gut, wenn es eine starke Regierung und eine starke Opposition gibt. Das können Grüne und PDS schon kräftemäßig gar nicht leisten. Deshalb muß Schluß sein mit der Großen Koalition bei der nächsten Wahl. Sonst nimmt die Demokratie Schaden.

Noch ist keine Mehrheit für die Bezirksreform in Sicht. SPD- Fraktionschef Böger sieht die innere Legitimation der Koalition gefährdet, wenn das Projekt scheitert.

Das hängt nicht allein von der Bezirksreform ab, sondern auch von der Haushaltssanierung, die nur sehr mühsam und schleppend vorankommt. Die innere Legitimation hat diese Koalition nicht mehr, seitdem sie nicht in der Lage ist, ihr eigenes Programm von vor zwei Jahren zu realisieren. Irgend eine Stadtregierung muß aber da sein. Aber wenn Sie mich jetzt gleich fragen, ob die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode hält, dann sage ich: Klar, dieser Senat ist so schwach, daß er schon wieder stark wird. Zumal es gegenwärtig keine Mehrheitsalternative im Parlament gibt.

Herr Böger hat erklärt, Rot- Grün von der PDS gestützt, wäre der geistige Bürgerkrieg in der Stadt? Würden Sie das ähnlich dramatisch einschätzen?

Ich halte nichts von einer Mehrheitsbildung mit der PDS in dieser Stadt. Das geht nicht. Die PDS ist in meinen Augen nicht durch ihre Geschichte, sondern durch das, was sie immer noch mit sich schleppt, so belastet, daß ich sie nicht an die Regierung heranlassen will.

Auch nicht zur Tolerierung einer Minderheitsregierung?

Nein. Das geht auch nicht. In einem Stadtstaat brauchen Sie für jede einzelne Abstimmung eine Mehrheit, auch für die Wahl des Regierenden Bürgermeisters, der Senatorinnen und Senatoren. In Flächenstaaten brauchen Sie nur einmal eine Mehrheit für die Wahl des Ministerprädisenten und dann jedes Jahr für den Haushalt. Aber das ist zweitrangig. Die PDS ist für mich weder ein Partner noch jemand, von dem ich mich tolerieren lassen möchte.

Haben Sie jemals bereut, daß die rot-grüne Regierung 1990 in die Brüche gegangen ist?

Natürlich habe ich das ganz oft bereut. Aber das war damals nicht anders möglich.

Na ja, wenn man Innensenator Pätzold bei den Häuserräumungen etwas mehr Zurückhaltung auferlegt hätte...

Nein. Die Koalition war längst vor der Räumung der Mainzer Straße zu Ende, nämlich als die deutsche Einheit anstand. Die Grünen waren explizit gegen die Einheit, und wir haben sie begrüßt.

Und mit der Mainzer Straße war es so: Bei einigen Häusern lag die Voraussetzung für die Berliner Linie vor, und ich habe Wochen vorher den Räumungen zugestimmt. Als Reaktion auf die Räumungen von drei Häusern in der Pfarr-, Kreutziger- und Cotheniusstraße wurden in der Mainzer Straße Gräben angelegt, wobei auch Gasleitungen beschädigt wurden. Angesichts dessen haben wir gesagt: O.k., es geht nicht anders, selbst wenn's schlimm wird.

Es hat Sie im Endeffekt die Koalition gekostet.

Ja, obwohl die grünen Senatorinnen vorher von der Räumung wußten und nicht deshalb die Koalition beenden wollten. Im Nachhinein wäre es für mich persönlich besser gewesen, im Sommer 1990, als wir uns an der Frage der deutschen Einheit gespalten hatten, Rot-Grün aufzukündigen und eine Große Koalition einzugehen. Dann wäre ich vielleicht immer noch Regierender Bürgermeister.

Interview: Barbara Junge

und Dorothee Winden