Tödliche Inkompetenz vor Gericht

■ Prozeß nach acht Jahren Verschleppung: Beim größten Flugunglück Berlins kostete 1989 der Blackout des Bordingenieurs einer Iljuschin 21 Passagieren das Leben. Zu DDR-Zeiten waren Ermittlungen ergebnislos e

Acht Jahre nach dem größten Flugzeugunglück in der Geschichte des Flughafens Schönefeld steht jetzt der Bordingenieur der Iljuschin vor Gericht, die am 17. Juni 1989 am Rande eines Rollfeldes ausbrannte. Damals waren die Ermittlungen ergebnislos eingestellt worden. Erst ein Passagier, der seine Lebensgefährtin bei dem Unglück verloren und selbst dauerhafte Schäden davongetragen hatte, hatte das Verfahren nach der Wende mit einer Schadensersatzklage in Gang gebracht. Dennoch bedurfte es erst der Intervention seines Rechtsanwaltes, der die Staatsanwaltschaft 1992 mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde zu Ermittlungen zwang.

Seit gestern muß sich der Bordingenieur Manfred Sch. wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen vor dem Landgericht verantworten. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hat der 54jährige die Katastrophe verursacht, weil er die Befehle des Kapitäns mißachtet und durch eigenmächtige Notmaßnahmen ersetzt habe.

Manfred Sch. wirkte gestern ganz gelassen. Während der Staatsanwalt die Namen der 21 Toten vorlas, die der 54jährige auf dem Gewissen haben soll, wippte er sacht mit dem Fuß im Takt.

An jenem verhängnisvollen Junimorgen rollte die Iljuschin 62 der DDR-Fluggesellschaft Interflug um 8.27 Uhr auf die Startbahn und beschleunigte. Mit an Bord der Maschine der damals 46jährige Manfred Sch., ein Lokomotiv- Schlosser, der sich zum Bordingenieur von Passagierflugzeugen hochgearbeitet hatte. Um 8.28 erreichte die Iljuschin mit über 260 km/h die Geschwindigkeit, mit der die Maschine abheben sollte. Plötzlich blockierte das Höhenruder. Innerhalb von wenigen Sekunden befahl der Kapitän den Abbruch des Starts und gab das Kommando „Umkehrschub“.

Manfred Sch. schaltete statt dessen die Triebwerke ab, so daß die Maschine nicht mehr ausreichend abgebremst werden konnte. Die Iljuschin schoß 720 Meter über die Rollbahn hinaus und zerbarst in einem Maisfeld. Durch das auslaufende Kerosin fing das Flugzeug sofort Feuer. 21 Menschen kamen ums Leben, 29 weitere Passagiere wurden zum Teil schwer verletzt.

„Ich hatte meine Handlungen nicht mehr unter Kontrolle“, verteidigte sich Manfred Sch. Als ihm der Kapitän sagte: „Wir müssen den Start abbrechen“, habe er mit dem Befehl nichts anzufangen gewußt, schilderte er seine damalige Lage. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er denn in seiner Ausbildung niemals derartige kritische Situationen trainiert habe, behauptete Sch., daß weder in der Ausbildung noch im späteren Training der Startabbruch nach Erreichen der Abhebegeschwindigkeit geübt worden sei. Dies wurde gestern von einem ehemaligen Kollegen des Angeklagten bestätigt.

Bereits im Juli vergangenen Jahres war ein Prozeßtermin anberaumt und prompt vertagt worden, weil der Rechtsanwalt des Angeklagten ein medizinisches Gutachten für seinen Mandanten beantragt hatte. An einem der nächsten Prozeßtage wird Gutachter Hans Ludwig Kröger vom Institut für forensische Psychiatrie darüber aussagen, ob der Angeklagte unter den damals gegebenen psychischen Umständen anders hätte handeln können. Der Prozeß wird am 5. November fortgesetzt. Peter Murakami