"Kein Postkartenquatsch"

■ "Die Berge sind der sechste Hauptdarsteller." Ein Film aus der Schneeperspektive. Tom Tykwer im Gespräch über seinen neuen Film "Winterschläfer", auch eine Art Generationenfilm

taz: Wie kommt man dazu, eine Romanvorlage, die eigentlich an der französischen Küste situiert ist, in die Berglandschaft Süddeutschlands zu transponieren? Zudem spielt Anne-Françoise Pyszoras „Die Vergeudung“ im Sommer, „Winterschläfer“ dagegen in den Monaten Dezember und Januar.

Tom Tykwer: Blauer Himmel und Meeresplätschern hätten einfach überhaupt nicht zu der Stimmung der Figuren gepaßt. Das sind alles Leute, die ein bißchen in sich verschlossen sind und zurückgezogen leben, die eigentlich ungern etwas von sich preisgeben und die versuchen, sich unangreifbar zu machen. Ich glaube, es gibt Landschaften, die bestimmte emotionale Zustände eher erzählen können als andere. Deshalb war die Schneeperspektive sehr gut dafür geeignet. Wenn man große Schneeflächen sieht, assoziiert man leicht ein sanftes Darin-Versinken. Allerdings ist der Schnee eisig und dabei gefährlich schön. Die Vorstellung von riesigen Schneefeldern mit unglaublich unberührter Oberfläche, die sich beim Näherkommen als eine Vielzahl aufgerissener Gletscherspalten herausstellen, das ist genau das Bild, das die Figuren von sich selbst präsentieren. Nämlich eine unberührbare Oberfläche, unter der ganz viele Verletzungen verborgen sind.

Neben verschiedenen anderen Genre-Elementen ist einmal eine Bergansicht mit dem rührseligen Zitat aus einem Kitschroman unterlegt. Welches Verhältnis haben Sie zum traditionell pathetisch- kitschigen Bergfilm?

Dieses Zitat haben wir extra erfunden, extrem pathetisch und plakativ. Das hat damit zu tun, daß natürlich diese Art von Landschaft und alles, was da an Mythos mitschwingt, besonders gerne in dieser Art von Medium verbraten wird. Das banalisiert die Berge, ohne daß man es richtig merkt. Sie funktionieren meist nur als Illustration. Ich wollte eben, daß der Blick auf diese Landschaft nichts von diesem Postkartenquatsch hat, den man ständig sieht. Wichtig für mich war, daß diese Art von Naturpräsenz im Grunde wie ein sechster Hauptdarsteller im Film funktioniert, Leute verschluckt und unberechenbar bleibt.

Erklärt sich daraus auch die Figur des von Sepp Bierbichler dargestellten Bauern als Vermittler zwischen den Welten?

Man kann nicht in so eine Landschaft gehen, weil sie pittoresk ist, man muß auch die soziale Situation einbeziehen. Deshalb haben wir den vier jungen Städtern den ortsansässigen Bauern entgegengesetzt, dessen Welt von der Moderne abgelöst wir. Er ist selbst längst ein Überbleibsel, wie ein Krämer, wo sonst rundherum längst die Großmolkerei regiert. Er verweigert sich viel konsequenter als die fremden Eindringlinge von außen.

Ist Ihr Film für eine bestimmte Generation gemacht?

Es geht um ein Lebensgefühl. Es gibt eine Art von phlegmatischer Erfahrung, die als total dramatisch empfunden wird. Das kennzeichnet die vier Personen, die im Mittelpunkt stehen. Die gehören zur Generation der Anfang- Dreißig-Jährigen, insofern ist es ein Generationenfilm geworden.

Die Frage stellt sich: Wie gestalten die eigentlich die Gegenwart, wenn jeder ein individualistisch zurückgezogener Einzelgänger ist. Wie prägen diese Leute die nächste Dekade, wenn politische Bewegungen für sie nicht in Frage kommen. Das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit sind ihre persönlichen Konflikte. Der Tellerrand, auf dem hier existentielle Probleme erlebt werden, ist nun mal sehr schmal. Diese werden nicht weniger kraß wahrgenommen als das Desaster des Bauern Bierbichler, dessen Kind stirbt und dessen Hof pleite geht. Interview: Gudrun Holz