Niemand kehrt lebend zurück

Wes Craven ist ein Killer vom Fach. Sein gutgebauter Horrorfilm „Scream“ zeigt Teenager, die von einem Bösewicht hingemordet werden, der Munchs „Schrei“ als Maske trägt – der Tod kommt in Zitatform  ■ Von Thomas Winkler

Eine der goldenen Regeln des Horrorfilms ist diese: Man muß nicht unbedingt schauspielern können, solange man nur in der Lage ist, ein enges T-Shirt auszufüllen und laut um Hilfe zu rufen, wenn man enge Treppen hochrennt. So hat es Neve Campbell von der Soap „Party of Five“ über die Hauptrolle von „Scream“ auf Titelblätter bis zum Rolling Stone geschafft. Schauspielleistungen sind nicht weiter von Belang, wenn man nur einem Killer mit Kultpotential entkommen kann.

Den zu erschaffen blieb wieder einmal Wes Craven vorbehalten. Der schuf vor 13 Jahren Scherenhand Freddy Krueger im rotgrünen Ringelpullover, den treuen Gefährten vieler postpubertärer Videoabende. Dieses Mal ist der Mörder mit einer Plastikmaske unterwegs, die Edvard Munchs „Der Schrei“ nachempfunden ist. Dank dieses neuen Killers setzte „Scream“ über 100 Millionen Dollar um und wurde zum finanziell erfolgreichsten Slasher-Movie aller Zeiten. So erfolgreich, daß das Sequel „Scream Again“ schon im Dezember in die US-Kinos kommt und Drehbuchautor Kevin Williamson bereits an Teil drei schreibt. Seit September kann man übers Internet für 10 Dollar einen von Hobbyfilmern gefertigten Video-Remix namens „Scream Louder“ ordern.

„Scream“ funktioniert, weil „Scream“ die goldenen Regeln kennt. Regisseur Wes Craven hat sie schließlich selbst mit definiert: die High-School einer Kleinstadt auf dem flachen Land, in der Teenager wie die Fliegen sterben; eine Sex-Szene, eine Party, viel Blut, und der Killer muß mindestens noch einmal auftauchen, wenn alle denken, er sei bereits tot. Die Filme von Craven, die von George A. Romero und John Carpenters „Halloween“ bestimmten gegen Ende der siebziger Jahre die Standards im Horror-Genre und erweiterten den Rahmen, den Hitchcock gesetzt hatte, um Splatter- Elemente. Dafür schafften sie zwar den klassisch gemütlichen Suspense-Aufbau nicht vollständig ab, aber beschleunigten ihn so sehr, daß er fast nur noch als Parodie erkennbar war. Auch „Scream“ springt einem ins Gesicht: Noch bevor das Popcorn kalt geworden ist, geht Drew Barrymore bereits den Weg alles Irdischen.

Aber Craven kennt nicht nur seine Regeln, er läßt seine Charaktere über nichts anderes reden. Das Grauen bricht hier ein, obwohl und gerade weil ein jeder weiß, wie es einzubrechen pflegt. Niemals dürfe man sagen „Ich bin gleich zurück“, doziert der Filmfreak, und prompt springen die ersten auf, um nicht zurückzukehren. Der Killer selbst aber ist der größte Fachmann und qualifiziert sich mit einem Originalzitat aus „Psycho“: „We all go a little mad sometimes.“

Mancher amerikanische Kritiker wollte in „Scream“ gar die bitter notwendige Blutauffrischung für das darbende Genre erkannt haben. Das litt in den letzten Jahren an der endgültigen Ausreizung seiner begrenzten Handlungsmuster in Fortsetzungen, die inzwischen zweistellige Nummern trugen. „Please don't kill me,“ fleht denn auch eines der Opfer, „I wanna be in the sequel!“ Das ist ein hübscher In-Joke, wie es viele gibt in diesem Film, aber schlußendlich fügt Craven dem immer ähnlich ablaufenden Grauen nichts wesentlich Neues hinzu – die Meta- Ebene, das Witzeln und Rekurrieren auf Klassiker oder gar eigene alte Filme, hat er selbst schließlich schon in der „Nightmare On Elm Street“-Reihe betrieben. Auch dazu findet sich nicht nur ein Kommentar: Den Schulflur wischt ein Hausmeister im berühmten rotgrünen Ringelpullover. Und ein Opfer fachsimpelt am Telefon mit dem Killer über die Nightmare- Filme, und gemeinsam mit den meisten Fans kommt man zu dem Schluß, Teil eins sei ja noch sehr gruselig, doch die restlichen Teile seien zwar lustig, aber eher langweilig gewesen.

Eine entsprechende Kritik ließe sich auch leicht bei „Scream“ anbringen, aber: Selten zuvor hat jemand so geschickt genau mit dieser zweiten Ebene gespielt, ohne dabei zu vergessen, daß ein Horrorfilm trotzdem noch Angst machen muß. Und das tut „Scream“.

„Scream“. R: Wes Craven, B: Kevin Williamson, K: Mark Irwin, mit: Neve Campbell, Skeet Ulrich, David Arquette, Courtneney Cox, Drew Barrymore u.a. USA 1996, 110 Min.