Duisburg und die Dame ohne Kohle

Monika Kuban ist Kämmerin in der drittärmsten deutschen Großstadt. Jahrelang hat sie anderen Kommunen vorgemacht, wie man erfolgreich spart. Jetzt streikt die Hüterin des Haushalts – und ist gespannt auf den Erfolg  ■ Von Daniela Weingärtner

Der Angestellte der Duisburger Sparkasse lächelt harmlos: „Herr Schimanski, darf ich bitte mal Ihre Scheckkarte?“ Der Kommissar versendet einen seiner naiv-blauen Blicke. Reicht die Karte rüber. Schnitt. Close-up: Schere, Kärtchen, Schnippschnapp. Großaufnahme Schimanski, fassungslos.

So ähnlich mag der Düsseldorfer Regierungspräsident im Mai dieses Jahres geschaut haben, als er die Nachricht aus Duisburg erhielt. Monika Kuban, Muster-Kämmerin der ärmsten aller Ruhrgebietsstädte, vielgepriesene Weltmeisterin im Stopfen immer größerer Haushaltslöcher – streikt. Duisburgs Ausgaben übersteigen die Einnahmen – das allein ist kein Grund zur Unruhe, das ist schon öfter vorgekommen. Aber dieses Mal weigert sich die Kämmerin zu tun, was das Gesetz vorschreibt. Ein Haushaltssicherungskonzept müßte erstellt werden, in dem die Gemeinde darlegt, wie sie ihren Haushalt innerhalb der nächsten zwei Jahre wieder auszugleichen gedenkt.

„Mir wären sicher noch ein paar Tricks eingefallen, wie ich für das Jahr 2000 schwarze Zahlen ankündigen kann. Aber das führt nicht weiter. Wir weisen Posten für Posten nach, daß die Einnahmen nicht mehr ausreichen, um unsere Pflichtausgaben zu erfüllen. In den vergangenen Jahren sind wir den anderen Städten immer als leuchtendes Beispiel vorgestellt worden, weil wir zu radikalen Schnitten bereit waren. Deshalb hat es Gewicht, wenn wir sagen: Es geht nichts mehr.“

Monika Kuban grinst. Vergnügt sagt sie: „Und deshalb gelten wir jetzt als rebellisch.“ Eine kleine Person, mädchenhaft-blonde Fönfrisur, blasses Gesicht, leise Stimme. Aber sehr energisch. Der Aufstand macht ihr Spaß. Sie leugnet es nicht. „Immerhin ist das Bewegung. Nichts macht mich kribbeliger, als wenn ich das Gefühl habe, ich steh' so an einer Wand.“

Ob der Regierungspräsident davon träumt, ihrer Scheckkarte mit der Schere zu Leibe zu rücken, wissen wir nicht. Monika Kuban besitzt ohnehin keine Schecks. Für die Kalifornienreise in diesem Sommer hat sich die Fünfzigjährige die erste Kreditkarte ihres Lebens besorgt. Aber zu Hause, beim Italiener um die Ecke, hält sie sich weiter ans Bargeld.

„Schimanski stürmt den Gang des Polizeipräsidiums entlang. Waffe und Dienstmarke hat er gerade abgegeben. Einsamer Wolf im Kampf gegen die Mafia. Schnitt. Halbtotale. Schweißnasse Brust. Stimme aus dem Off: „Ich war draußen. Und zu allem Überfluß war ich blank.“

Auch Duisburg war 1991, als der WDR seine letzte Schimanski- Folge ausstrahlte, schon ziemlich pleite. Aber so ausweglos wie heute war die Lage nicht. „Selbst in den schlimmsten Jahren der Strukturkrise, 1987–1989, betrug das Defizit höchstens drei Prozent der laufenden Ausgaben – damals gab es Sonderhilfen vom Land. Heute haben wir zehn Prozent Defizit und sollen das alles hinkriegen.“ Im gleichen Zeitraum, so Kämmerin Kuban, seien die Sozialleistungen um 30 bis 40 Prozent gestiegen, die Investitionen und das Volkseinkommen aber nur um 14 bis 20 Prozent. Von 1992 bis heute erhöhten sich die Ausgaben der Stadt für Sozialhilfe von 240 Millionen auf 324 Millionen.

Mitgliederversammlung im SPD-Ortsverein Großenbaum- Rahm. Genossin Monika, zweite Frau im Rathaus, schildert, wie es um die Stadtfinanzen steht. Eigentlich war bei ihr ein Referat mit dem Titel „Droht uns der Staatsbankrott?“ bestellt worden. Der Vorsitzende hat klassenkämpferisch anmoderiert, an 1928 erinnert, „wo uns auch die Bürgerlichen in ein Chaos geschickt haben, zwölf Jahre mit Mord und alles“.

Aber Monika Kuban läßt sich nicht gern auf Wahlkampfterrain schleppen. Parolen liegen ihr nicht, sie vertraut lieber auf Fakten. Kanzler Kohl und das internationale Großkapital, ganz sicher, ja doch, sind wir dagegen. „Mit solchen Staatshaushalten verliert man die Handlungsfähigkeit, um zum Beispiel dafür zu sorgen, daß Gemeinden wie Duisburg nicht absaufen“ – schwupps ist sie wieder auf heimatlichem Boden. Legt ein paar Folien auf den Overhead-Projektor und wendet sich den Problemen vor der Haustür zu.

45 Minuten lang läßt Monika Kuban Zahlen auf ihre Genossen niederprasseln. Wettert gegen die Steuerpolitik der Bundesregierung, die bewirke, „daß wir mit einem wahnsinnig komplizierten Steuersystem, das keiner mehr akzeptiert, weil es ungerecht ist, auch noch wenig Steuern einnehmen. Die einzige Steuer, die man abgeschafft hat, ist natürlich die Gewerbekapitalsteuer, die den Kommunen zugute kommt.“ 15 Millionen weniger im Jahr bedeute das für Duisburg, gleichzeitig sinkt die Einkommenssteuer weiter.

Auch die Genossen in Bonn kriegen ihr Fett. „Wenn die Bundes-SPD in den vergangenen Jahren soviel Mut gehabt hätte wie die Duisburger SPD, den Leuten unangenehme Wahrheiten zu sagen, hätte sie mehr Akzeptanz gefunden.“ Die Zuhörer in der Aula des Kinderdorfes Großenbaum-Rahm hätten die Welt lieber ein bißchen mehr schwarz und weiß heute abend. Sie sind erschöpft. Es ist gleich neun. Auch Monika Kuban hat an diesem Tag ein dichtes Programm hinter sich gebracht. Aber sie werkelt unverändert frisch am Projektor, ihr Schatten tanzt wie ein Derwisch über die angeleuchtete Wand. „Die Oberhausener haben was ganz Witziges gemacht.“ Das Publikum horcht auf. Die Kämmerin kichert wie über einen besonders gelungenen Streich. „Die haben 2010 in ihr Haushaltssicherungskonzept geschrieben. 2010. Da hätten sie auch gleich sagen können Sankt-Nimmerleins-Tag.“ Die Genossen schauen verständnislos. Für diese Pointe fehlt ihnen Monika Kubans sinnliches Verhältnis zu Finanzen.

Aber die gelernte Sozialwissenschaftlerin, die sich ihre VWL- Kenntnisse erst in der Praxis erworben hat, hat auch griffige Geschichten parat. Die Sache mit dem Schaschlik und den Zwiebeln zum Beispiel. Abends fahren die Zwiebellaster rüber nach Polen und kommen am nächsten Morgen mit den geschnittenen Zwiebelstücken zurück. Da wird dann das berühmte Berliner Schaschlik draus, und genau so funktioniert Globalisierung. Oder die Sache mit den Polizeibooten: Prototyp auf der Duisburger Werft, Serienproduktion in Mecklenburg-Vorpommern. Das nennt sich dann Strukturförderung. Aber wer fördert die Struktur im Revier? Auf der Hitliste der ärmsten Städte der Republik liegt Duisburg auf Platz drei, hinter Leipzig und Dresden. Dennoch drückt die Stadt jedes Jahr 65 Millionen für den Fonds Deutsche Einheit ab. „Absurd“, findet die Kämmerin.

Und verweist nun ihrerseits auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, ganz offen: „Da man die Probleme vor Ort nicht mehr lösen kann, tun wir auch auf dem Papier nicht mehr so.“ Weder der Bund der Steuerzahler noch der Regierungspräsident in Düsseldorf bestreiten, daß Duisburg die Lage bislang ideenreich gemeistert hat. Viermal in den vergangenen 20 Jahren reagierte die Stadt mit drastischen Schnitten auf die Finanzkrise. In diesem Zeitraum wurden die jährlichen Ausgaben um 423,5 Millionen gedrückt. 1.200 städtische Stellen wurden abgebaut, Ansprüche aus Wohnungsbaudarlehen an private Banken verkauft, Sportanlagen in die Obhut von Vereinen gegeben. Längst teilen sich zwei Schulen einen Hausmeister, Düsseldorf und Duisburg eine Oper, Thyssen und Duisburg eine Feuerwehr. Als die Stadt im Dezember 1995 den Verkauf von 28 Schulen ankündigte, legte die Bezirksregierung ihr Veto ein. Zum großen Kummer der Kämmerin. Ein privater Besitzer hätte die Schulen billiger renovieren können und die Gebäude dann an die Stadt vermietet. So aber rotten sie weiter vor sich hin.

„Niemand kann sagen, die sind zu faul, sich zu bewegen“, konstatiert Kuban trotzig. „Aber jetzt ist Schluß. Wenn ich zum Beispiel noch ein Museum dichtmache, dann kann ich das Licht ausschalten, die Tür abschließen – den Beamten muß ich dennoch weiter bezahlen, der ist unkündbar.“ Weil die Verwaltungsspitze mit gutem Beispiel vorangehen will, werden nun auch Dezernentenstellen gestrichen. Finanz- und Personalreferat sind kürzlich zusammengelegt worden. Das drückt Kuban mehr als die Löcher im Stadtsäckel: „Die Verantwortung für menschliche Schicksale macht mich nervös. Mit Zahlen fühle ich mich immer ruhig und sicher.“ Zum Beispiel mit der Zahl 160.000. So viele Arbeitsplätze gibt es derzeit in der Stadt, genug, um 300.000 Menschen zu ernähren. Duisburg hat aber 540.000 Einwohner, die Rechnung kann nicht mehr aufgehen.

„Wir müssen uns mal unterhalten“, sagt der Herr von der Duisburger Sparkasse. Er blickt unbeweglich auf ein kleines Blatt Papier, Schimanskis Kontoauszug. „Da sind zwar 5.000 eingegangen, aber Ihr Konto ist immer noch mit 20.000 überzogen.“ Schnitt.

Für 600 Millionen Mark Überziehungskredit muß Duisburg Zinsen zahlen, täglich. Deshalb wird die Kämmerin derzeit ständig gefragt, ob sie denn noch ruhig schlafen könne. Als sie antwortet, ist wieder das vergnügte Lachen in ihrem Gesicht. Es hat sie 1992 schließlich keiner gezwungen, den ruhigeren Kämmerer-Posten in Bielefeld aufzugeben. „Ich dachte mir, das kann spannend sein, immer am Rande des Kollapses...“

Es bleibt spannend. Der rechtswidrige Haushalt liegt auf dem Tisch, das Land ist am Zug. Monika Kuban läßt keinen Zweifel, was sie mit ihrem Streik erreichen will: „Eine Entscheidung vom Land: Entweder sie geben uns Geld, oder sie befreien uns von Aufgaben, die wir nicht mehr erfüllen können. Wir müssen alle gute Nerven haben. Ich habe sehr gute Nerven.“

Im Privatleben sind ihr Schulden ein Greuel. 20.000 Miese auf dem Konto könnten ihr sehr wohl den Schlaf rauben. Schimanski allerdings verzeiht sie seine schlechte Zahlungsmoral. Für den Ruhrpott-Kommissar hat sie eine Schwäche. Schließlich sind beide sozusagen Kollegen im Kampf um ein lebenswertes Duisburg.

Szenen aus: „Der Fall Schimanski“. WDR 1991