■ Warum plötzlich alle die A-Klasse von Mercedes interessiert
: Selbstbewußtsein auf zwei Rädern

Vor Jahren hätten allenfalls Fachzeitschriften darüber berichtet. Über Nacht aber spricht ein ganzes Land davon: Deutschlands renommiertester Autobauer, Mercedes-Benz, hat Schwierigkeiten mit seinem neuesten Produkt, dem Kleinwagen der A-Klasse. Zuerst kippte das formschöne Gefährt bei einem Test in Schweden um, was noch als mißgünstiger Akt gegen ein deutsches Produkt hätte ausgelegt werden können.

Dann aber kippelt der Kleinwagen bei einem erneuten Probelauf in Deutschland bedenklich auf zwei Rädern und landete wohl nur deshalb nicht auf dem Dach, weil der Testfahrer seine ganzes Können am Lenkrad bewies. Der Beinahe-Unfall war den ARD- Tagesthemen ein eigener Beitrag wert und beendete eine Sendung, die mit den Börsenverlusten in Frankfurt begonnen hatte. Zwei Meldungen eines Tages, die sich ergänzen und die Stimmungslage eines Landes widerspiegeln, das sich zu einem Gutteil auf ökonomische und technische Machbarkeit gründet.

Ein tragender Pfeiler ist bis heute die Autoindustrie. Das hat historische Gründe, die im kollektiven Bewußtsein bis heute weiterwirken. Dem Bundesbürger war sein Auto in den 50er Jahren der sichtbare Ausdruck seiner Aufbauleistung und ist heute beinahe schon das letzte Symbol für das, was einst unter industrieller Fertigung verstanden wurde. Gerade weil in den letzten Jahrzehnten ganze Branchen wie die Werften- oder Elektronikindustrie fast von der Bildfläche verschwanden, wurde die Autoindustrie zum letzten Leuchtfeuer eines Markenzeichens namens „Made in Germany“. Das Zeitalter der Globalalisierung hat diesen Trend zur Überhöhung, zum Fetisch, noch verstärkt: Wenigstens auf dem Gebiet der Autoproduktion, so lautet ein öft gehörter Allgemeinplatz, halten die Deutschen noch mit. Mercedes- Benz selbst hat mit einer äußerst aufwendigen Imagekampagne diesem Bild zu entsprechen versucht. Die A-Klasse wurde zum innovativen Produkt vor der Jahrtausendwende stilisiert, zum Markenzeichen aus deutschen Landen schlechthin.

Das Kippeln, für Millionen Zuschauer sichtbar, ist daher mehr als nur ein Konstruktionsfehler. Gerade weil er – im Gegensatz zu einem Motorenfehler etwa – für jedermann sichtbar wurde, wird Mercedes den Imageverlust so leicht nicht los, auch wenn das Problem behoben werden sollte. Das Pech des Weltkonzerns ist, daß der Fehler an seiner A-Klasse zu einem Zeitpunkt kommt, da die Stimmung hierzulande zum Depressiven neigt. Wenn ein Auto kippelt, dann scheinen auch Wettbewerbsvorteile und Arbeitsplätze zu kippeln. Severin Weiland