USA und China feiern Wende

■ Besuch Jiang Zemins soll Annäherung einläuten. Kritiker fordern Isolation

Washington (taz) – Gestern sind Präsident Jiang Zemin und Bill Clinton im Weißen Haus zum ersten chinesisch-amerikanischen Gipfel seit 1985 zusammengekommen. Derweil trafen sich vor dem Weißen Haus gleich zwei Demonstrationen, eine vom Family Research Council, die andere von amnesty international organisiert. Während Clinton Jiang auf dem großen Rasen hinter dem Weißen Haus empfing, rollten die Demonstranten vor dem Weißen Haus einen roten Teppich für die Nachbildung jener Freiheitsstatue aus, die 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking von Panzern überrollt wurde.

Jiang und Clinton hatten sich bereits am Dienstag abend zu einer ersten „inoffiziellen“ Begegnung getroffen. Dabei seien auch strittige Fragen wie Menschenrechte, Tibet und Taiwan besprochen worden, hieß es.

Das Für und Wider in bezug auf bessere amerikanisch-chinesische Beziehungen erinnert an die Debatte um Brandts Ostpolitik – nur daß die Rollen gegenüber der Situation im Deutschland von damals vertauscht scheinen. Die Argumente für bessere Beziehungen mit China reichen von der Hoffnung auf „Wandel durch Annäherung“ bis zur Aussicht auf gute Geschäfte durch bessere Handelsbeziehungen. Die Gegner beharren darauf, daß nur ökonomischer und militärischer Druck sowie politische Isolierung China zum Einhalten der Menschenrechte zwingen und von der Unterstützung terroristischer Regime wie Iran abbringen würden. Während die Befürworter im Flanellanzug auftreten und die Staatsräson sowie außen- und wirtschaftspolitischen Sachverstand für sich reklamieren, tragen die Gegner eher Jeans, berufen sich auf moralische Prinzipien und plädieren für internationale Solidarität.

Sie bilden ein Bündnis über ideologische Grenzen hinweg. Die Gewerkschaften fürchten, daß die Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen zu mehr Kapital- als Warenexport führen wird. Die christliche Rechte protestiert gegen Chinas Familienplanungs- und Religionspolitik und will dabei eher Einfluß auf die amerikanische Innenpolitik nehmen.

Gegenüber solcher Kritik sagte US-Außenministerin Madeleine Albright, eine einzelne Frage dürfe nicht die amerikanische Politik lähmen. Sie bezeichnete jedoch die Einladung von amerikanischen Vertretern katholischer, protestantischer und jüdischer Organisationen nach China als ermutigend.

Die amerikanische Chinapolitik harrt seit der Auflösung der Sowjetunion einer Neubestimmung. Die vorwiegend günstige Meinung, die bis 1989 in Amerika über die Volksrepublik herrschte – 72 Prozent der Amerikaner hatten von China eine positive Meinung –, schlug über Nacht um, als am 4. Juni 1989 die Volksbefreiungsarmee die Demonstrationen chinesischer Studenten und Arbeiter auf dem Tiananmen-Platz niederwalzte: 58 Prozent der Bevölkerung hatten danach ein negatives Bild von China. Der Besuch von Jiang Zemin hat bisher noch keine Wende gebracht. Die neunziger Jahre brachten einen weiteren Niedergang der 1972 von US-Präsident Richard Nixon bei seinem Besuch in Peking angeknüpften Beziehungen. Ihren Tiefpunkt erreichten sie letztes Jahr, als anläßlich freier Wahlen auf Taiwan die chinesische Armee Manöver in der Straße von Formosa abhielt und die USA zwei Flugzeugträger ins Südchinesische Meer entsandten. Clinton ist daran nicht schuldlos. 1992 hatte er seinen Wahlkampf gegen Bush mit Angriffen auf dessen enge Beziehungen zu den Schlächtern von Tiananmen geführt und kümmerte sich nach seinem Einzug ins Weiße Haus kaum um Außenpolitik und um China schon gar nicht.

Ein erster Wandel bahnte sich 1994 an, als die USA entschlossen waren, das nordkoreanische Atomwaffenprogramm zu stoppen. China hatte ebensowenig Interesse an einem atomar gerüsteten Nord-Korea. „Beide Seiten erkannten, daß eine unkontrollierte Verschlechterung der Beziehungen strategische Folgen hätte“, erklärt David Lampton, Vorsitzender des American China Relations Committee. „Im chinesisch-amerikanischen Verhältnis geht es in erster Linie um Krieg und Frieden. Clinton aber begriff Außenpolitik nicht als Sicherheits-, sondern nur als Außenhandelspolitik.“

Mit der gestrigen Zeremonie in Washington wurde nun der Neubeginn der bilateralen Beziehungen medienwirksam inszeniert. Als konkreten Schritt haben Jiang und Clinton die Einrichtung eines „heißen Drahtes“ vereinbart, der, ähnlich wie das „rote Telefon“ zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus, für eine direkte Kommunikation bei drängenden Problemen führen soll. Peter Tautfest