1,3 Millionen wollen Stasi-Akten sehen

■ Gauck-Behörde stellt ihren neuen Tätigkeitsbericht vor: Das Interesse der Bürger an den Stasi-Unterlagen ist nach wie vor groß

Berlin (taz) – Das Interesse an den Stasi-Unterlagen ist nach wie vor ungebrochen. Wie der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Joachim Gauck, in seinem gestern vorgestellten dritten Tätigkeitsbericht erklärt, stellen jeden Monat noch immer rund 14.000 Personen einen Antrag auf Akteneinsicht. Und manche müssen noch warten, wie die Behörde des Bundesbeauftragten einräumt. Auch wenn bei einer Gesamtzahl von 1,3 Millionen Anträgen „im Bereich der Akteneinsicht eine Erledigungsrate von 77 Prozent erreicht werden konnte, waren bis zum Sommer 1997 noch immer nicht alle Anträge aus dem Jahr 1992 erledigt“, schreiben die Mitarbeiter in dem 200 Seiten starken Bericht. Der Bundesbeauftragte Joachim Gauck übergab den Tätigkeitsbericht – er umfaßt den Zeitraum der vergangenen zwei Jahre – gestern in Bonn an Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth.

Zunehmend an Bedeutung gewannen im Berichtszeitraum die Ersuchen im Zusammenhang mit Rehabilitations- und Wiedergutmachungsverfahren. Im Durchschnitt gingen monatlich 1.000 entsprechende Anträge bei der Gauck-Behörde ein. In ähnlich vielen Fällen wandten sich auch die Strafverfolgungsbehörden an die Stasi-Nachlaßverwalter, die im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren um Informationen bei der Gauck-Behörde nachfragten. Da in etlichen Fälle im kommenden Jahr eine Verjährung drohe, arbeite die Gauck-Behörde mit Nachdruck an einer Bearbeitung dieser Fälle.

Auch das Interesse der Medien und der Forscher hat dem Bericht zufolge eher zu- als abgenommen. Monatlich wurden rund 100 thematische Anfragen gestellt, vom Januar 1996 bis zum Juli 1997 wurden für den Bereich der Forschung 31.000 Seiten Kopien den Antragstellern zur Verfügung gestellt, für die Medien waren es 15.000. Es sei nicht abzusehen, heißt es in dem Bericht weiter, wann ein deutlicher Rückgang der eingehenden Anträge zu verzeichnen sein wird.

Mit einer vollkommen neuen Aufgabe sieht sich die Behörde konfrontiert, wenn die neuen Bestimmungen aus der letzten Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes umgesetzt werden müssen. Ab dem 1. Januar 1999 können Betroffene und Dritte überprüfen lassen, inwieweit eine Anonymisierung der sie betreffenden Unterlagen möglich ist, sie können dann eine Vernichtung der Unterlagen verlangen. Ursprünglich sollte diese Regelung bereits Anfang diesen Jahres in Kraft treten, sie wurde aber mit der Novelle des Stasi-Unterlagengesetzes verschoben. Welche zusätzlichen Aufgaben auf die Gauck-Behörde damit zukommen, ist zur Zeit vollkommen unklar. Wolfgang Gast