Jugendliche brauchen positive Autorität

■ Der GALier und Rechtsanwalt Mahmut Erdem plädiert dafür, straffällige Jugendliche notfalls „stationär unterzubringen“, um überhaupt Kontakt zu ihnen aufbauen zu können

In Nachwahlzeiten geht die Diskussion in der Bürgerschaft über Jugendkriminalität weiter: SPD und GAL reichten Anträge zur Ursachenforschung ein. Eine Enquete-kommission soll nach dem Willen beider Fraktionen zum ersten Mal nach 1985 eine umfassende Untersuchung auf Expertenebene durchführen und Handlungsvorschläge unterbreiten.

Im Zentrum der Debatte wird dabei sicherlich auch die Rolle von Justiz und Jugendgerichtshilfe stehen. Denn deren Schwierigkeiten im Umgang mit kriminell gewordenen Jugendlichen haben Ausmaße angenommen, die der breiten Öffentlichkeit noch keineswegs bewußt sind. Das geht zumindest aus einem Gutachten zur Jugendkriminalität hervor, das der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer im Auftrag des Hamburger Senats erstellte. Der Studie ist zu entnehmen, daß nicht rechtskräftig verurteilte Jugendliche häufig für mehrere Monate in Untersuchungshaft gebracht werden. Diese aus purer Hilflosigkeit resultierende Handlung wird im später erfolgenden Urteil als erzieherische Maßnahme gewertet.

Noch ratloser reagieren Jugendrichter und Staatsanwälte auf Jugendliche mit massivem Drogenkonsum und entsprechenden psychosozialen Problemen. Immer wieder erfährt man, daß diese Jugendlichen in geschlossenen psychiatrischen Anstalten untergebracht werden.

Doch weder Untersuchungsgefängnis noch geschlossene Psychiatrie können in irgendeiner Weise den Erziehungsauftrag des Jugendgerichtsgesetzes gegenüber straf-fällig gewordenen Jugendlichen erfüllen. Es handelt sich um pure Verwahrung ohne erfolgversprechende Resozialisationsansätze. Die Perspektiven für die betroffenen Jugendlichen sind nur als düster zu bezeichnen, die hohen Rückfallquoten kaum verwunderlich.

Angesichts dieser Normalität erscheint ein großer Teil der Diskussion um geschlossene Heime mehr als verfehlt und weitab der Realität. Denn zu dieser Realität gehört es zunächst, sich bewußt zu machen, daß die Sozialisation der heutigen Jugend im Vergleich zu der, die in den 60er und 70er Jahren aufwuchs, völlig anders verläuft. Vor allem in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Gesellschaft verändert. Klassische familiäre Strukturen lösten sich immer mehr auf.

Angesichts dieser Umstände und der Tatsache, daß jugendliche Delinquenten in Untersuchungshaft und sogar in der geschlossenen Psychiatrie weggeschlossen werden, muß meines Erachtens dringend über neue Konzepte des Jugendstrafverfahrens und der Unterbringung nachgedacht werden.

So ist es dringend notwendig, daß bereits erstmals aufgefallene Kinder und Jugendliche mit ihrer Tat konfrontiert werden und positiv besetzte Autorität erleben können. Auch ohne aufwendiges Strafverfahren sollte bei den Jugendlichen ein Bewußtsein für die Konsequenzen ihrer Tat geweckt werden. Das kann durch Gespräche des Täters mit seinem Opfer bei der Polizei unter Einbeziehung der örtlichen Jugendgerichtshilfe, Schule und Eltern erfolgen. Erst bei einem Rückfall sollten gerichtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Dabei müßte aber immer ein naher Bezug der Sanktionen zu der Tat im Auge behalten werden. Auch bei Jugendlichen mit hohen kriminellen Energien sollte die Konkordanz zwischen ihrer Schuld und dem Erziehungsgedanken sowie der Täter- und Opferausgleich des Jugendgerichtsgesetzes unbedingt gewahrt bleiben.

Um überhaupt Kontakt zu dem Jugendlichen aufbauen zu können und ein Minimum an Erfolgsaussichten zu haben, muß es dabei auch denkbar sein, Jugendliche in besonders schweren Fällen unterzubringen – natürlich nur mit intensiver Begleitung. Dabei darf Unterbringung nicht mit dem Anfang der 80er Jahre vorherrschenden und jetzt wieder diskutierten Konzept der geschlossenen Heim-unterbringung verwechselt werden. Zu dieser Zeit war die jugendkriminelle Szene von anderer Qualität, insbesondere die Gewaltbereitschaft war weitaus geringer. Zum anderen fehlte diesem „Wegschließ“-Konzept eine entsprechende pädagogische und psychologische Betreuung.

Unterbringung und intensive Begleitung müssen heute vielmehr in Form eines Stufenkonzeptes aufgebaut werden. Angefangen von einer niedrigschwelligen stationären Betreuung bis hin zu einem betreuten Wohn- und Arbeitsgruppenprojekt, wenn sich der Jugendliche entsprechend bewährt. Die Vermittlung einer positiven Autorität im Rahmen der stationären Betreuung sollte dabei einerseits die Schwere der Tat berücksichtigen, andererseits aber auch die sozialen Defizite des jugendlichen Täters hinreichend beachten, um dem im Jugendstrafrecht vorrangigen Erziehungsgesichtspunkt gerecht zu werden.