Der große Hunger nach der blauen Banane

■ Berlin spielt eine untergeordnete Rolle in der Dienstleistungsgesellschaft Bundesrepublik

In einem hat György Konrad recht. Das debis-Gebäude von Renzo Piano gleicht einer „Kathedrale“. Einer Kathedrale der Dienstleistungsgesellschaft, mit Managern, Fahrradkurierern und Putzkolonnen als Boten einer neuen Welt. Nicht recht hat der Präsident der Akademie der Künste, wenn er sich mit der Eröffnung der debis-Zentrale am Potsdamer Platz einen weiteren Schritt Berlins in Richtung Weltstadt erwartet.

Von außen betrachtet gleicht die Dienstleistungswelt am Potsdamer Platz eher, wie es der Stadtgeograph Stefan Krätke von der Frankfurter Europauniversität Viadrina einmal formulierte, „einer Kathedrale in der Wüste“.

Es ist noch nicht lange her, da hat der ehemalige Daimler-Benz- Chef Edzard Reuter das Schicksal Berlins mit dem Potsdamer Platz verknüpft. Metropole oder Posemuckel, das war die Alternative. Von einer Dienstleistungsmetropole reden heute freilich nur noch notorische Berufsoptimisten. Metropole ist Berlin, so der Stadtgeograph Stefan Krätke, nur im Hinblick auf die räumliche und soziale Spaltung.

Daß Berlin selbst in der Dienstleistungsgesellschaft Bundesrepublik nicht die erste Geige spielen wird, liegt nicht nur im traditionell polyzentralen Städtesystem Deutschlands. Entscheidend ist auch, daß die Funktionen der Einzelstandorte bereits verteilt sind. Frankfurt ist und bleibt der Bankenplatz Nummer eins in Deutschland, Hamburg der führende Medienstandort und Düsseldorf bestimmend für die Werbebranche.

Neulinge wie Berlin haben es deshalb schon schwer, weil wie Stadtgeograph Krätke sagt, die Entwicklung des Städtesystems als ein Prozeß kumulativer Verstärkung von Strukturdifferenzen zwischen den Städten beschrieben werden kann, bei dem bestimmte Städte, die schon früher eine „bevorteilte“ Position innehatten, diese weiter ausbauen und verfestigen können. Die Entscheidung für Frankfurt als Sitz der europäischen Zentralbank ist dafür nur ein Beispiel.

Berlin ist dabei gleich im doppelten Sinne benachteiligt. Bereits zu Mauerzeiten, als im westdeutschen Städtesystem von einem Süd-Nord-Gefälle die Rede war, stand Westberlin auf der Verliererseite. Nach dem Fall der Mauer, als dieses Ungleichgewicht von einem West-Ost-Gefälle abgelöst wurde, konnte Berlin die ihm zugedachte Rolle als „Ost-West-Drehscheibe“ ebensowenig erfüllen wie die Hoffnungen auf eine Entwicklung zum Wissenschafts- und High-Tech- Standort.

Noch düsterer sieht es aus, wenn man die gesamteuropäischen Städtestrukturen berücksichtigt. Weder im Wachstumsmodell der „blauen Banane“, einer Region, die sich von London über Brüssel, Frankfurt, Stuttgart und Zürich bis Mailand erstreckt, noch im „goldenen Dreieck“ zwischen London, Paris und Lille, noch im europäischen „Sunbelt“ entlang den Technopolen der Mittelmeerküste spielt das geographisch abgelegene Berlin eine Rolle.

Entscheidender Gradmesser für den Zuwachs an Dienstleistungsarbeitsplätzen ist daher ganz entscheidend die wirtschaftliche Entwicklung in Osteuropa. Solange Länder wie Polen, Tschechien, Ungarn aber im wesentlichen die Funktion von Niedriglohnstandorten einnehmen, bleibt auch der Bedarf für eine „Ost-West-Drehscheibe“ gering, zumal Berlin in dieser Rolle ohnehin mit Wien, Prag, Warschau und Budapest konkurrieren muß.

Für die Hauptstadt bedeutet dies, daß andere Regionen vorläufig mehr am Wachstum der unternehmensorientierten Dienstleistungen teilhaben. Das ist bitter für eine ehemalige Industriestadt, die noch nicht einmal den Wegfall der industriellen Arbeitsplätzen mit neuen Jobs ausgleichen kann. Debis-Kathedralen hin oder her. Uwe Rada