Populismus und kräftige Attacken

■ Im Protest gegen Jiang Zemin vereint sich in den USA eine ungewohnte Koalition politischer Gruppen – von rechts bis links

Washington (taz) – „Ich bin ein Pekinger!“ Wer hat das gesagt? Klingt nach Kennedy, nicht wahr? Ist es auch, Kerry Kennedy- Cuomo, die Tochter von Robert F. Kennedy, die am Mittwoch im Lafayette Park gegenüber dem Weißen Haus vor etwa 1.000 Demonstranten an den berühmten Ausspruch ihres Onkels John F. Kennedy in Berlin vor mehr als dreißig Jahren erinnerte.

Da hatte sich eine seltsam gemischte Menschenmenge zusammengefunden, um gegen den Empfang Jiang Zemins durch Präsident Clinton zu protestieren: Tibeter und Taiwaner, Gewerkschaftler und Menschenrechtsaktivisten von amnesty international, adrett gekleidete junge Frauen, die man sonst auf Demonstrationen gegen Abtreibung trifft, und Umweltschützer, die sich um eine riesige Trommel versammelt haben mit der Aufschrift: „Eine Welt, ein Volk, ein Herzschlag“.

Die Galerie der Sprecher reichte vom Gewerkschaftsvorsitzenden Sweeney bis zu Garry Bauer, dem Vorsitzenden des Family Research Council, einer Antiabtreibungsgruppe; vom liberalen Senator Russ Feingold aus Wisconsin bis zum konservativen Abgeordneten Frank Wolf aus Virginia.

Zündende Worte finden die meisten: „Clinton spricht von der Verbesserung der Lage der Menschen in China durch Handel, als ob dem politischen Gefangenen Wei Jingsheng durch mehr Big Macs zu helfen sei“, sagt Paul Wellstone, Senator aus Minnesota. „Ich bin von den hier anwesenden Medien ausgequetscht worden, auf was für eine seltsame Koalition ich mich hier mit Gewerkschaftlern und Liberalen eingelassen habe“, sagt Abtreibungsgegner Garry Bauer, „aber ich bin lieber in dieser Gesellschaft als in der da drinnen, wo sich der Schlächter von Peking mit dem Führer der freien Welt trifft.“

Der Applaus ist gewaltig. Populismus hat hier Konjunktur, und die Attacken sind leidenschaftlich: „Wir müssen Clinton daran erinnern, für wen er arbeitet und wer ihn in sein Amt bestellt hat“, sagt Adam Yauch von den Beastie Boys, „wir waren das und nicht die großen Konzerne, die ihm seine Wahlkampfspenden gegeben haben.“

Der Star der Veranstaltung ist der Schauspieler Richard Gere, dessen Film „Rote Ecke“ über das chinesische Justizsystem heute in den hiesigen Kinos anläuft.

Größere Exportchancen durch erweiterte Handelsbeziehungen haben als Argument viel an Überzeugungskraft eingebüßt, seit die US-amerikanische Industrie durch Downsizing, Massenentlassungen und Kapitalexport den Arbeitern und Angestellten der USA jede Sicherheit genommen hat.

Und was die Hearings über Clintons Methoden zur Beschaffung von Wahlkampfspenden bisher zutage gefördert haben, hat das Gefühl verstärkt, daß die Regierenden eher mit dem Großkapital verbunden sind als mit dem Schicksal der Menschen – in den USA und China.

Da bekommt ein Garry Bauer sogar von Gewerkschaftlern Applaus, wenn er schreit, daß die Studenten auf dem Tiananmen-Platz 1989 nicht mehr Handel, sondern mehr Rechte gefordert haben.

Für wenige Augenblicke zeigt sich hier das Potential einer neuen sozialen Bewegung, die herkömmliche politische Muster von links und rechts gründlich über den Haufen werfen würde und deren Kristallisationspunkte zu gleichen Teilen Menschenrechte, Freihandel und der Mythos Tibet sind.

Die Solidarität mit dem Dalai Lama und den Tibetern artikuliert dabei das Unbehagen an der Industriekultur: „Während wir uns um die Modernisierung unserer Technik gekümmert haben, hat ein kleines Volk in einer unzugänglichen Bergwelt vom Rest der Welt abgeschlossen das Denken modernisiert“, sagt Adam Yauch. „Hier geht es nicht nur um Tibet und China, sondern um die ganze Welt, ja um das ganze Universum.“ Peter Tautfest