Nicht alle rumänischen Helden sind auch welche

■ Ex-Revolutionäre pochen auf Privilegien. Mit Hungerstreik und Selbstverbrennung

Bukarest (taz) – Der Polizist ist entnervt. „Seit acht Monaten steh' ich jeden Tag hier. Ständig Demonstrationen. Die Rentner wollen was, die Lehrer sind unzufrieden, den Beamten paßt irgendwas nicht. Ich hab's satt!“ Bukarest, Platz der Revolution. In langen Ketten sperren Polizisten das Gebäude des Senats ab, der Oberkammer des rumänischen Parlaments. Dort haben hungerstreikende rumänische Revolutionäre Anfang Oktober ihre Zelte aufgeschlagen. Sie protestieren, weil das Parlament ihre Privilegien schmälern will. Ein großes Christusbild hängt vor den Zelten. Auf einem Bettlaken steht: „Jedes Volk belohnt seine Helden!“ Ein Stück des Platzes um die Zelte ist abgesperrt. Nicht hungerstreikende Revolutionäre wachen darüber, daß kein Unerwünschter zu ihren Kollegen in die Zelte geht.

Rumänien ist ein Land voller staatlich beglaubigter Revolutionshelden. Ausgestattet sind sie mit Diplomen unterschiedlicher Kategorien: Es gibt „Teilnehmer der Revolution“, „Hinterbliebene“, „Verletzte“ und „Kämpfer mit besonderen Verdiensten“.

Einige Monate nach dem blutigen Aufstand gegen den Diktator Nicolae Ceaușescu vom Dezember 1989 verabschiedete das Regime des damaligen neokommunistischen Präsidenten Ion Iliescu das Revolutionärsgesetz Nummer 42. Es gewährt den Trägern der Revolutionsdiplome viele Privilegien – von Freifahrten im Nah- und Fernverkehr über Vorzugswohnungskauf bis hin zu Steuerbefreiung und -vergünstigungen.

Seit Jahren blüht der Handel mit den Diplomen. Aber nicht nur Tausende von Leuten, die mit dem Aufstand nichts zu tun hatten, erwarben sich Diplome. Unter den staatlich beglaubigten Revolutionären waren auch ehemalige hohe Funktionäre und Lobhudler des Ceaușescu-Regimes. Auch ehemalige Armee- und Securitate-Mitarbeiter, die im Dezember 1989 auf Demonstranten geschossen hatten, wechselten ungeniert in die hochdotierte Kategorie der „Kämpfer gegen die Diktatur mit besonderen Verdiensten“.

Schon lange sind die meisten Rumänen verärgert über den Revolutionärsschwindel. Seit dem Machtwechsel im letzten Jahr versucht nun die christlich-sozialdemokratisch-liberale Regierung, dem Diplomschacher einen Riegel vorzuschieben. Nach einer Revision des Gesetzes 42 blieben von mehreren zehntausend Revolutionären etwa 8.000 übrig. Auch unter ihnen ist ein Großteil nicht anspruchsberechtigt, wie Mitglieder einer Senatskomission verlauten ließen, die derzeit alle Personalakten wälzen. Auch die Privilegien der Revolutionäre will die Regierung stark einschränken. Nur ein kleiner Kreis von wirklich Betroffenen – etwa Behinderte oder Waisen – soll sie noch genießen. Der Rest der Revolutionäre müßte sich mit einem Ehrendiplom ohne Scheckwert begnügen.

„Und das, wo dieses Land doch uns die Freiheit zu verdanken hat“, brüstet sich einer der nicht hungerstreikenden Revolutionäre vor dem Zelt. Auf die mehrfach wiederholte Frage, was ihm denn im Dezember 1989 passiert sei, antwortet er nur vage. Weil der Hungerstreik bisher erfolglos war, greifen die Revolutionäre nun zu makabren Methoden. Am Mittwoch zündete sich einer der Protestler an. Der Mann hat offenbar keine ernsthaften Verletzungen erlitten. Er beschimpfte Ärzte, lehnte einen Krankenhausaufenthalt ab und befindet sich weiter unter den Hungerstreikenden im Zelt.

Dan Iosif, Anführer der Revolutionäre und bekannte Figur in der „Revolutionärsmafia“, droht, daß sich nun jeden Tag jemand anzünden werde. Der Betreffende soll durch das Los bestimmt werden. „Und am Ende zünden wir uns alle an und stürmen brennend den Senat“, ruft Iosif. Nach dem Vorfall vom Mittwoch haben Politiker der Koalition eingelenkt. Die Gesetzesänderung ist zwar nicht vom Tisch, die Revolutionäre sollen aber an einer Diskussion und möglichen Neufassung des Entwurfs teilnehmen. Keno Verseck