Ersatzteile aus dem Schweinestall

Die Medizinische Hochschule in Hannover plant die Verpflanzung von Tierorganen in den Menschen. Mit genmanipulierten Schweinen wollen die Mediziner das menschliche Immunsystem überlisten  ■ Von Jürgen Voges

Die beiden kleinen Borstenviecher, die in Mariensee nordwestlich von Hannover bei der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) im Stall stehen, haben nur Zuchtnummern, keine Namen. Doch zumindest für die Bundesrepublik sind das drei Monate alte Jungschwein und das sieben Wochen zählende Ferkel eine Novität. Die beiden Tiere, die sich rein äußerlich oder im Verhalten von ihren rosa Altersgenossen in irgendeinem anderen Stall nicht unterscheiden, sind derzeit die einzigen transgenen Schweine hierzulande.

Ihre Erbinformation enthält ein menschliches Gen, das bei der Aktivierung des Immunsystems eine wesentliche Rolle spielt. Die beiden Tiere sind das Produkt eines hannoverschen Forschungsverbundes, der sich die Xenotransplantation, die Verpflanzung von Tierorganen auf den Menschen, zum Ziel gesetzt hat.

„Natürlich kann die Xenotransplantation, etwa die Übertragung eines Schweineherzens auf einen todkranken Menschen, zunächst nur eine Notlösung sein“, sagt vorsichtig Professor Heiner Niemann. Von einer „Übergangslösung“, bis ein menschliches Spenderorgan zur Verfügung steht, spricht der Reproduktionsbiologe, der mit seinen Mitarbeitern am Institut für Tierzucht und Tierverhalten der FAL den Transfer menschlicher Gene auf die Schweine durchgeführt hat. Eine menschliche oder dem Menschen ähnliche Proteinstruktur auf der Oberfläche der transgenen Schweinezellen sollen die eingeschleusten Gene erzeugen. Und dies soll später, nach einer Organübertragung, die hyperakute Abstoßungsreaktion bei den menschlichen Patienten verhindern. Denn normalerweise zerstört ein bestimmter Teil des Immunsystems, das sogenannte Komplementsystem, tierisches Gewebe im menschlichen Körper. Binnen weniger Minuten oder Stunden ist das eingepflanzte Tierorgan unbrauchbar.

Professor Niemann, der auch an der Tierärztlichen Hochschule Hannover lehrt, ist fest davon überzeugt, daß sich mit Organen von Schweinen, die durch das „Komplement-Regulationsgen“ sozusagen vermenschlicht wurden, das humane Immunsytem überlisten läßt. Daß diese Methode funktioniere, hätten Transplantationen von Schweineorganen auf Primaten zum Beispiel in Großbritannien bereits gezeigt. „Die Strategie als solche ist tragfähig“, meint der 44jährige Reproduktionsbiologe zuversichtlich, „am Ende stehen die Patienten, denen ein tierisches Organ verpflanzt wurde, nur noch vor ähnlichen Problemen wie nach einer normalen Transplantation, müssen auf Dauer immunrepressive Medikamente nehmen.“

Die menschlichen Gene, die man im niedersächsischen Mariensee auf die beiden Schweine tranferiert hat, wurden von der Braunschweiger Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) quasi „maßgeschneidert“. An dem mit Bundesmitteln geförderten Verbund in Sachen Xenotransplantation sind nach Angaben von Niemann das Fraunhofer-Institut in Hannover und die dortige Medizinische Hochschule (MHH) beteiligt, wo nach dem Willen der beteiligten Wissenschaftler eines Tages dann tatsächlich die Transplantationen von Schweineorganen auf den Menschen stattfinden sollen.

Die führende Persönlichkeit bei dem „nicht ganz trivialen Vorhaben“ sei bis zu seinem plötzlichen Unfalltod Ende September der Leiter der Transplantationschirurgie an der MHH, Professor Rudolf Pichlmayr gewesen, sagt der Reproduktionsbiologe Niemann. Der derzeitige Chef der Transplantionschirurgie, Hans-Rudolf Raab, schätzt, daß es „noch mindestens fünf Jahre dauert“, bis in Hannover tatsächlich die ersten Schweineherzen transplantiert werden können. Die beiden transgenen Tiere in Mariensee sind bisher noch nicht einmal darauf untersucht worden, ob die eingeschleusten Gene auch aktiv sind und ob sich auf den Zelloberflächen tatsächlich Proteine menschlichen Ursprungs finden lassen. Nach Angaben von Heiner Niemann wird man in Mariensee „noch Dutzende von transgenen Schweinen aufziehen müssen“, bis man ein Tier hat, bei dem das übertragene Gen nicht nur angeschaltet ist, sondern auch an die Nachkommen weitergegeben wird. Als ethisch in irgendeiner Weise problematisch sieht der Reproduktionsbiologe seine Versuche mit den transgenen Tieren nicht. Die Tiere selbst seien normal gesund, würden in keiner Weise leiden. Auch die Xenotransplantation selbst sieht er eigentlich nicht als ethisches Neuland, da ja schon heute Implantate wie etwa Herzklappen aus tierischen Gewebe hergestellt würden.

Auch an der MHH haben die Forschungen zur Xenotransplantation den Segen der dortigen Ethik-Kommission erst einmal gefunden. Vorsitzender dieser Kommission war seinerzeit noch Rudolf Pichlmayr, der schon auf dem diesjährigen deutschen Ärztetag für eine intensive Erforschung der Xenotransplantation plädierte, dabei aber immerhin eine Risikoanalyse und eine intensive öffentliche Diskussion der ethischen Fragen verlangte. Diese öffentliche Diskussion „auf sachlicher Grundlage“, wie es sein Nachfolger Raab ausdrückt, will die MHH nun mit einer Patientenumfrage vorbereiten, für die bereits ein Fragebogen formuliert worden ist. Mehrere tausend Patienten, die in Hannover auf der Warteliste für eine Transplantation stehen oder denen bereits ein Organ verpflanzt wurde, sollen damit um Auskunft über die Akzeptanz der Xenotransplantation gebeten werden.

Die britische Regierung hat im Frühjahr die bereits geplante Transplantation eines Herzens von einem genmanipuliertem Schwein vorerst einmal untersagt. Zuvor hatten britische Forscher nachgewiesen, daß Retroviren des Schweins menschliche Zellen infizieren können. Solche Retroviren finden sich als stabil integrierte, sogenannte Proviren in der Erbsubstanz von etwa einem Prozent aller Säugetierzellen. Auch Pichlmayr, dessen Auffassung Raab im wesentlichen teilt, sah es auf dem letzten Ärztetag als mögliches Problem der Xenotransplantation an, daß für das Schwein ungefährliche Erreger, wie retrovirale Strukturen, nach einer Organverpflanzung bisher unbekannte Infektionen beim Menschen auslösen könnten. Der Transplantationschirurg sprach allerdings dabei von einem „hoffentlich sehr geringen Restrisiko“, gegen das die bisherigen Erfahrungen mit der Übertragung von tierischen Geweben und Substanzen auf den Menschen sprächen.

Von einem bisher nicht abschätzbaren Infektionsrisiko geht ähnlich wie die britische Regierung bisher der Gesundheitsforschungsrat beim Bundesforschungsminister aus und hält die Xenotransplantation derzeit für nicht vertretbar. Der Grüne Bundestagsabgeordente Manuel Kiper sprach kürzlich nach einen Besuch in Mariensee bei der FAL von „einer ganz neuen Qualität des Übertragungsweges von Krankheiten“, der durch die Xenotransplantation eröffnet werden könne. Für ethisch höchst problematisch hält der Molekularbiologe und forschungspolitische Sprecher der Grünen die Übertragung von Tierorganen auf den Menschen noch aus einem anderen Grunde: „Naturwissenschaftlich betrachtet stellt der Empfänger eines Tierorgans nach der Transplantation eine Chimäre, ein Mischwesen aus Mensch und Tier, dar“, sagt Kiper. Nach der Transplantation würden einzelne Zellen aus dem neuen Organ sogar in entfernte Gewebe des Empfängers wandern und dort weiterleben, warnt Kiper. Der Politiker will die Alternative „Xenotransplantation oder Tod“, vor der in einigen Jahren viele Patienten stehen könnten, von vornherein vermeiden. Man solle lieber „durch Vorsorge und Prävention den Bedarf an Organspenden soweit reduzieren, daß er durch menschliche Organe gedeckt werden kann.“