■ Der Feminismus hat sich in Zirkelbewegungen selbst lahmgelegt, weil der Geschlechterdiskurs in Deutschland als Opferdiskurs geführt wird
: Aufruf zur Befreiung der Hamsterinnen

In den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit gilt die Geschlechterfrage als marginales Befindlichkeitsproblemchen. So war es auch früher schon, bevor die Frauenbewegung entstand. Die öffentliche Wahrnehmung hat einen historischen Zirkelschluß vollzogen. Dabei hängt das eine eng mit dem anderen zusammen. Die Kassen sind leer, und zwischen den Geschlechtern ist ein existentieller Konkurrenzkampf um die schwindenden Arbeitsplätze ausgebrochen. Also setzen vor allem konservative Männer alles daran, die Institutionen der Gleichstellungspolitik zu unterhöhlen, auszuhebeln, finanziell auszutrocknen.

Kluge Männer jedoch wissen, daß nur dumme Männer solche Plumpheiten nötig haben. Denn die tradierte Gleichstellungspolitik erledigt diese Aufgabe von selbst. Sie läuft wie ein Hamsterrad, in dem die kämpferischsten Hamsterinnen seit Jahren auf der Stelle treten und ihre Energie sinnlos verschleudern. Die Herstellung von Gerechtigkeit und Geschlechterdemokratie wird an die Frauenbeauftragten oder andere Interessierte delegiert, die dieses Problem für die Allgemeinheit lösen sollen.

Männer können sich also in bequemer Sicherheit wiegen: Wir brauchen nichts zu tun, die sind doch extra dafür abgestellt. Gleichstellungspolitik dieser Art verschärft die Probleme, indem sie diese für die Männer unsichtbar macht: Sie werden blind gegenüber Ungerechtigkeit und blind gegenüber den verzweifelten Reaktionen der Frauen auf diese Ungerechtigkeit. Frauen werden mit sinnlosen Strukturdebatten durch die Mühle gedreht, Männer sitzen weiterhin in den Sesseln der Macht und schauen auf die heißlaufenden Hamsterräder. Befreit die Hamsterinnen! Aber wie? Mit der konsequenten Anwendung des Verursacherprinzips: Männer haben männergemachte Probleme selbst zu lösen. Wenn sie nicht wollen, muß man sie dazu zwingen: mittels Kürzung der Zuwendungen für ihre Abteilungen oder Betriebe. Geld ist eine Waffe, Moral nicht.

Da sind wir schon beim zweiten heißlaufenden Hamsterrad: Speziell in Deutschland wird der Geschlechterdiskurs als Opferdiskurs geführt. Er ist von essigsaurem Moralin durchzogen, obwohl die Existenz zweier unterschiedlicher Bauarten der Marke Mensch genauso wie die Existenz von Blau und Gelb ersichtlich kein moralisches Problem ist. Frauen wie Männer begehen den Fehler, ihre Gemengelage in „Opfer“ und „Täter“, „Gut“ und „Böse“ aufzutrennen. Die Frauen, weil sie als Gutmenschen in die Geschichte eingehen und den Männern eins auswischen wollen. Die Männer, weil sie wissen, daß Opfer schwach sind und schwach bleiben werden.

Das Opfer-Täter-Denken ist sicher auch deshalb so tief in unserem Unterbewußtsein verankert, weil es aus der menschlichen Frühgeschichte und dem antiken Christentum tradiert ist. Opfer sind etwas Heiliges. Wer Opfer ist, hat zwar auf Erden zu leiden, wird aber im Paradies schon erwartet. Opfer sind gute Menschen, weil sie sich für andere opfern. Opfer geben ihr Blut, um uns alle von unserer Schuld zu erlösen. Opfer sind passiv und von reiner Unschuld wie ein Lamm. Opfer zu sein hat also etwas Erstrebenswertes.

Niemandes Unterbewußtsein ist frei von diesen Urbildern mit ihrer starken emotionalen Strahlkraft. Für manche Frauenbewegte ist es noch heute ein Sakrileg, anzuerkennen, daß Täter auch Opfer und Opfer auch (Mit-)Täterinnen sein können, daß Frauen in der Dynamik der Geschlechterkonflikte und in der Menschheitsgeschichte mithin nicht nur die passive Rolle der Unschuld spielen.

Um Mißverständnisse zu vermeiden: Hier sei nicht in Abrede gestellt, daß unzählige Frauen Opfer männlicher Gewalt werden. Frauen und Mädchen werden weltweit geschlagen, vergewaltigt, diskriminiert. Aber genau deshalb gibt es nur einen einzigen Weg heraus aus diesem Jammertal der Unterdrückung: „Empowerment“, das Entwickeln weiblicher Stärke.

Schwach bleiben wird nämlich diejenige, die weiterhin ausschließlich als Opfer gesehen wird. Die SPD-Frauenpolitik ist dafür ein beredtes Beispiel: Im Weltbild dieser Partei sind Frauen nur eine Sonderform in der Hauptabteilung „Arme Würstchen“. SPD-Politiker nennen sie am liebsten in einem Atemzug mit Behinderten, Kranken, Ausländern und anderen Minderbemittelten. Der echte Sozi schenkt ihnen ab und zu eine Mutter-Kind-Kur oder ein Taschengeld von 20 Mark, damit sie sich ein Eis kaufen können, nennt das Ganze „Kindergelderhöhung“ und ist auch noch stolz drauf. Frauen sind Objekte staatlicher Fürsorge und sollen es gefälligst auch bleiben. Als handelnde Subjekte wären sie viel zu gefährlich.

Woher kommt in Deutschland diese seltsame Opferlust? Weshalb blieb es den Italienerinnen vorbehalten, weibliche Begierde und weibliche Stärke zum Ausgangspunkt feministischer Philosophie zu machen, wie es die Gruppe um den Mailänder Frauenbuchladen tat? Warum lachen die Französinnen über den Kreuzweg des deutschen Feminismus?

Deutschland ist ein Land der Männer. Deutschlands Frauen wurden besonders lange von den Schulen und Universitäten und von der Erwerbsarbeit ferngehalten. Deutschlands Frauen wurde besonders erfolgreich eingebleut, ihr biologisches Schicksal heiße Mutterschaft. Während die italienische Mamma in der kollektiven Phantasie eine starke Figur ist, ein stimmgewaltiges vollbusiges Urviech, dem die ganze Familie zu Füßen liegt, ist die deutsche Mutti eher eine Witzfigur. Ein schwächliches, depressives Wesen mit schlecht sitzender Dauerwelle, voll mit ungelösten Konflikten und schlechtem Gewissen, wenn es arbeiten geht und sich dem 24-Stunden-Mutti-Dienst verweigert.

Dieses frei flottierende Potential an schlechtem Gewissen wurde durch die jüngere deutsche Vergangenheit noch einmal enorm gesteigert. Zwar war der Nazistaat durch und durch männlich, aber das hat die Frauen nicht gehindert, sich diesem Männlichkeitskult und seinem Führer jubelnd zu unterwerfen. Das Wissen, zu einer Täternation zu gehören, ist auch für Nachgeborene schwer aushaltbar. Um so verführerischer, um so entlastender ist die Vorstellung, Opfer und nichts als Opfer zu sein.

Doch was als Befreiungsversuch geplant war, endet ebenfalls wieder im Hamsterrad. Der Täter-Opfer-Diskurs wird irgendwann zu einer endlosen Zirkelbewegung, die die Täter stärkt und die Opfer schwächt und auf diese Weise die ewiggleichen Verhältnisse zementiert. Hamsterinnen, sprengt eure Käfige! Etwas Besseres als den Tod werdet ihr überall finden. Ute Scheub