Die Politik brüskiert, die Industrie hofiert

New Yorks Bürgermeister wollte den chinesischen Staatschef überhaupt nicht sehen – ganz anders Wall Street. Hier eröffnete Jiang Zemin die Börse, und zum Diner erschienen die Wirtschaftsbosse in Scharen  ■ Von Peter Tautfest

Washington (taz) – Bei den US- Wirtschaftsbossen kommt Jiang besser an als bei den Politikern des Landes. Schon bei seiner Ankunft auf dem Festland am Dienstag hat der Gouverneur von Virginia, George Allen, es nicht für nötig gehalten, seinen Gast in Williamsburg zu begrüßen.

Auf das Staatsbankett im Weißen Haus am Mittwoch abend ging Jesse Helms, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, erklärtermaßen nur widerwillig. Und beim Frühstück im Capitol am Donnerstag fehlte Tom DeLay, republikanischer Fraktionsgeschäftsführer – er wollte aus Protest der Begegnung zwischen Jiang und 50 Volksvertretern fernbleiben.

Bei der Ankunft Jiangs in New York am Donnerstag abend schließlich kündigten der Bürgermeister der Stadt, Rudolph Giuliani, sowie der Gouverneur des Staates, George Pataki, an, sie hätten nicht die Absicht, ihren Staatsgast zu begrüßen. Im Capitol hatten die 50 Abgeordneten beider Häuser dafür gesorgt, daß das Frühstück im Kongreß ein Kontrastprogramm zum Galadiner im Weißen Haus wurde. Sie unterwarfen Jiang Zemin einem zwar höflichen, aber intensiven Verhör über den Stand der Menschenrechte in China.

Nicht so die Vertreter der Wirtschaft. Auf dem Staatsbankett war die Teilnahme von Leuten wie Michael Eisner von Disney, Roger Enrico von Pepsico, George Fisher von Kodak, Steven Jobs von Apple und Steven Spielberg von Dreamworks sowie der Vertreter von Boeing, Motorola, Xerox, General Electric, Time Warner am Ende mindestens so wichtig wie die des mächtigen und verschrobenen erzkonservativen Ausschußvorsitzenden Jesse Helms.

Überhaupt ist das politische Programm gegenüber dem wirtschaftlichen bescheiden. Ganze 90 Minuten dauerte der eigentliche politische Gipfel mit Clinton. In New York aber eröffnete Jiang die Börse und begab sich anschließend zu Gesprächen mit IBM, AT&T und Lucent Technologie. Einen wichtigen Deal hat Boeing schon in der Tasche, den Verkauf von Flugzeugen im Wert von drei Milliarden Dollar.

Aber die Chinesen wollen nicht nur Absatzmarkt sein, sie bestehen auf ihren eigenen Geschäftsregeln. Strikt wird darauf geachtet, aus dem Verkauf von Waren auch Vorteile für die Entwicklung ihrer eigenen Industrie zu ziehen. Sie bestehen auf der Herstellung der Waren im eigenen Land und auf der Lizenzierung der Technologie. So kommt Boeing sein Deal auf lange Sicht teuer zu stehen. Zusammen mit den Flugzeugen werden Know-how und Technologietransfer geliefert – und eines Tages wird China in der Lage sein, eigene Flugzeuge zu bauen und auf dem Weltmarkt als Konkurrent aufzutreten.

Bei der Abwicklung dieser Geschäfte spielt die Politik eine untergeordnete Rolle – und ist nur da notwendig, wo Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen. So ist denn das wichtigste Ergebnis des Gipfels von Washington die Zusicherung Chinas, nukleares Know-how nicht mehr an Iran weiterzugeben, räumt sie doch die Beschränkung beiseite, unter der die US-amerikanische Atomindustrie litt, die seit Jahren keinen Reaktor mehr gebaut hat.

Jetzt kann sie sich auf einen neuen Markt freuen, der in den nächsten 15 Jahren 30 Reaktoren kaufen will. Und da werden die Politiker dann doch noch wichtig – der Kongreß muß dem Deal innerhalb von 30 Tagen zustimmen.