Frankreich: In die Falle gelockt

■ Vielen „papierlosen“ Ausländern droht die Abschiebung

Es war eine echte Vertrauensfrage, die Innenminister Jean-Pierre Chevènement vor vier Monaten an die schwächsten BewohnerInnen Frankreichs stellte. An die 150.000 „papierlose“ EinwandererInnen antworteten positiv. Sie gaben sich mit sämtlichen verfügbaren Daten bei den Behörden zu erkennen und beantragten Aufenthaltsgenehmigungen.

Jetzt sitzen die meisten von ihnen in der Falle. Sie haben der Polizei die Arbeit abgenommen und sich selbst denunziert. Statt den erwarteten staatlichen Schutz zu bekommen, statt endlich die Verstecke, die Schwarzarbeit, die Dumpinglöhne, die Rechtlosigkeit und die anderen erniedrigenden Bedingungen hinter sich lassen zu können, droht eine Verschlimmerung ihrer Situation. Entweder sie verschwinden völlig im Untergrund, oder sie riskieren die Abschiebung.

Die Urheber dieser perfiden Politik waren noch vor wenigen Monaten angetreten, die Situation der „Papierlosen“ zu verbessern, und hatten im Wahlkampf versprochen, die repressiven Ausländergesetze der konservativen Innenminister Pasqua und Debré abzuschaffen. Viele Mitglieder der rot-rosa-grünen Regierung und sehr viele ihrer WählerInnen hatten Anfang des Jahres entsprechende Petitionen unterzeichnet und an den großen Demonstrationen unter dem Motto „Papiere für alle“ teilgenommen.

Mit dem Regierungswechsel Anfang Juni schrumpfte der Humanismus. Nun machen sich andere Töne breit: Frankreich könne nicht das Elend der ganzen Welt aufnehmen. Eine großzügige Regularisierung aller „Papierlosen“ würde zu einem Massenansturm auf Frankreich führen. Und eine vernünftige Einwanderungspolitik würde der rechtsextremen Front National in die Hände arbeiten.

Das Verfahren, das die Regierung nun offenbar für den Umgang mit den „Papierlosen“ gewählt hat, ist reiner Populismus: Für die linke Klientel wird sie ein paar tausend AntragstellerInnen regularisieren. Für die rechte und die rechtsextreme wird sie den größten Teil der AntragstellerInnen ablehnen. Für ihre eigene Mehrheit hofft sie, daß die bei den Regionalwahlen im kommenden Frühjahr von derlei „Entschlossenheit“ profitiert. Mit einer neuen Ausländerpolitik hat das Ganze nichts zu tun. Es ist die Wiederkehr eines alten Musters: Politik auf dem Rücken der EinwandererInnen. Dorothea Hahn

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