Bloß kein Psychogelaber

■ Der tägliche Spagat der Jugendhilfe: Zwischen Behäbigkeit und Pragmatik

Jugendliche schickt sie nie weg. Für ein 14jähriges Mädchen in Not würde Monika Kleßmann „immer eine Stunde freischaufeln“. Kein leichtes Unterfangen in dem Ein-Frau-Betrieb der Erziehungsberatungsstelle Dulsberg. Die 46jährige Sozialpädagogin hat etwas, was anderswo in der Jugendhilfe auf Biegen und Brechen nicht erreicht wird: Den Ruf, zu ihr könne man hingehen.

Rumpf-Familien in sozialen Brennpunkten benötigen ein niedrigschwelliges Hilfsangebot. Die übliche Jugendhilfe wirkt dagegen behäbig und mittelschichtorientiert. „Irgendwie sind wir spät dran“, argwöhnte daher Dieter Kretzer vom Amt für Jugend jüngst auf einer Tagung der Jugendbehörde im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Der Umbau der Jugendhilfe erfolge ausgerechnet zu einem Zeitpunkt leerer Kassen. Demnächst sollen die bezirkliche Erziehungsberatung, das Jugendamt und die Krisenintervention der Ämter für soziale Dienste effektiver zusammenarbeiten. Früher sei man nicht auf die Idee gekommen, präventiv in den Familien mit kleinen Kindern zu arbeiten. Jetzt seien die personell ausgedünnten Einrichtungen vordringlich damit beschäftigt, ihre Pfründe zu sichern.

Bleiben die Klienten dabei auf der Strecke? Monika Kleßmann hat ein eigenes Modell entwickelt, an Mehrfachbenachteiligte heranzukommen, die von sich aus niemals einen Fuß in eine Erziehungsberatungsstelle setzen würden. „Man muß da reinpowern“, sagt sie. Wie eine Hausiererin zog Kleßmann zu Beginn ihrer Arbeit durch den Stadtteil. Die Sozialpädagogin postierte sich dort, wo Eltern in ihrem Tagesablauf ohnehin vorbeikommen: Dulsberg mit seinen 18.000 BewohnerInnen gilt als sozialer Brennpunkt und verfügt über eine Fülle von Kinderbetreuungseinrichtungen und Müttertreffs. „Wenn ich dort sitze, traut sich kaum jemand herein“, weiß Kleßmann, „aber hinterher rufen viele an, mit der Sicherheit im Rücken, mich schon mal gesehen zu haben.“

Klienten aus den problembelasteten Familien fürchten sich vor zweierlei: vor einer Moralpredigt mit dem Tenor: „Verprügeln Sie Ihre Kinder nicht!“und vor „Psychogelaber“, weiß Kleßmann. Die aufgeräumte Sozialpädagogin versucht deshalb „da zu päppeln, wo was gut läuft“. Erst dann rückt man gemeinsam dem Problemberg der sozial Deklassierten zu Leibe. Nach fünf einstündigen Sitzungen müsse sie sich in der Regel der nächsten Familie zuwenden. Und die bestehe dann wieder – wie meistens – aus „Mutter, Kind und Hund“. Lisa Schönemann