Utopien sterben einen überaus blutigenTod

■ Doppelprojekt „Leviathan / Der Auftrag“über militanten Wider-stand feierte im vollen Jungen Theater eine großartige Premiere

Daß, wie der Soziologe Max Weber einst seinen Studenten zurief, der Mensch nichts Großes vollbringe ohne Leidenschaften, ist so wahr wie tragisch zugleich. Als groß gilt gemeinhin, was Eingang in Geschichtsbücher findet. Tragisch ist das, was „die Großen“in ihrer Leidenschaft „für die Sache“anderen und sich antun, um den erdrückenden Gang der Geschichte für einen entscheidenden Moment aus seiner morbiden Trägheit zu stoßen.

In diesem Sinne war Ulrike Meinhof eine Große: Eine Figur der Weltgeschichte wie die französischen Revolutionäre Robespierre und Danton. Unbarmherzig gegen sich, ohne jeden Selbstschutz gegen das Elend der Welt und erfüllt von einer rücksichtslosen Hingabe an das, was man als das Richtige erkannt hat. Aber am Ende frißt jede Revolution nicht nur ihre Kinder. Am Ende bleibt bloß noch das Schweigen und die fatalistische Einsicht, „daß alles so bleibt wie immer“.

Ehe im Anschluß an diesen Satz die Lichter erloschen, erlebte das Publikum im ausverkauften Jungen Theater über zwei Stunden eine beeindruckende Inszenierung über Gründe und Abgründe des militanten Widerstandes. „Leviathan“, Dea Lohers Stück über Maries (alias Ulrike Meinhof) Schritt in den bewaffneten Kampf, und „Der Auftrag“, Heiner Müllers assoziatives Drama über das nachrevolutionäre Frankreich zu Zeiten Napoleons, hat Regisseur Ralf Knapp virtuos miteinander verzahnt. Zwei grundverschiedene Stücke über ewige, quälende Fragen. Wieviel Radikalität erfordert der aufrechte Gang? Wer und was ist zu opfern im Dienste der Gerechtigkeit?

Marie (Liz Hencke) antwortet mit dem Schritt in die Illegalität. „Der Revolutionär“, bekennt sie mit grauem Gesicht, „hat keine persönlichen Interessen, Gefühle und Neigungen“. Der Verlust jeglicher Identität als Preis eines Lebensentwurfes, der der mörderischen Illusion nachhängt, in Übereinstimmung mit den ehersten politischen Überzeugungen leben zu wollen. Aber an dem Spagat zwischen Anspruch und Realität, der einem nicht die Glieder verreißt, scheitern letztlich sie und ihre GenossInnen von der RAF.

Ebenso wie schon Robespierre, Danton und der müde und alptraumgeplagte Revolutionär Antoine (Oliver Peuker), der zynisch bekennt, er kenne sich aus in der Anatomie des Menschen, seit er unzählige sinnlose Gemetzel im Dienst von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vollbracht hat. Und dennoch: Am Ende der Französischen Revolution liebt das Volk wieder seine Ketten, die neu gegründete Republik frönt den alten Lastern, während die Revolutionäre von einst mit zerschlagenen Gliedern die Schlachtfelder der Kämpfe um die Freiheit bevölkern.

Wo also ansetzen mit der Veränderung der Welt? Schwein oder Mensch, schreit die Terroristin Luise (Nomena Struß) verzeifelt ihrem töricht liebenden Mann entgegen: Vor diese fatale Alternative gestellt, finden die Akteure in beiden Stücken keine Lösung, die Raum ließe für Humanes. Ob der hyperventilierende Wilhelm (großartig: Erkan Altun) ausstößt, die Veränderung müsse ihren Ausgang bei uns, der Liebe, dem persönlichen Umfeld und der Kleinfamilienidylle nehmen, oder ob Galloudec, Sasportas, und Debuisson (Axel Deller, Erkan Altun, Oliver Peuker) mit geschichtsphilosophischem Weitblick den unvermeidbaren Endsieg am blutroten Firmament erblicken: Das richtige Leben im Falschen, man erahnt es in jeder Szene, wird keine der beiden Alternativen realisieren können. Es bleibt unmöglich.

Was also bleibt von diesem aufwühlenden Abend? Zwei großartige Stücke, sieben durchweg ausgezeichnet agierende SchauspielerInnen in einer unbedingt sehenswerten Inszenierung. Der minutenlange Applaus des Premierenpublikums war verdienter Lohn für eine in jeder Hinsicht stimmige Aufführung. zott

Die nächsten Aufführungstermine: 5.-9.11., 11.-14.11., jeweils um 20.30 Uhr, sonntags um 19 Uhr. Weitere Infos unter