Allein unter Männern

Gesichter der Großstadt: Die 31jährige Birgit Singer ist die einzige Frau, die einen Polizeiabschnitt leitet. Kritik des „Spiegel“ an Neuköllner Verhältnissen widerspricht sie heftig  ■ Von Plutonia Plarre

Mit undurchdringlichem Gesicht bewahrt die Frau in der grünen Uniform mit einem goldenen Stern auf den Schulterklappen bei der Pressekonferenz ihres Chefs Haltung. Birgit Singer, 31 Jahre jung, ranghöchste Schutzpolizistin Berlins und einzige Frau, die einen der insgesamt 48 Abschnitte leitet. Es ist eine dieser Pressekonferenzen von Polizeipräsident Hagen Saberschinsky, die Journalisten so lieben. Der oberste Ordnungshüter der Stadt ergießt sich in stundenlangen Wiederholungen über die anstehende Polizeireform, gibt Zusammenfassung über Zusammenfassung und faßt die Zusammenfassung nochmals zusammen.

Was ihr in Situationen wie diesen durch den Kopf geht, braucht man Birgit Singer gar nicht erst zu fragen. Auch nicht, wie sie sich als einzige Frau in den Führungsetagen der Schutzpolizei fühlt. Entweder sie verweigert dazu die Aussage oder es kommen nettgemeinte Floskeln. Ein rauhes Klima bei der Polizei? Nein, das habe sie noch nicht festgestellt, „aber man hat auch die Chance, es zu beeinflussen“. An der schlanken, etwa 170 großen Frau mit den dunklen kleingelockten Haaren haben sich schon so manche Medien bei der Suche nach etwas Persönlichem die Zähne ausgebissen. Egal, ob es sich um Anfragen von Talkshows oder Wochenzeitungen handelt – Singer lehnt grundsätzlich ab, wenn es dabei um mehr als um die Polizeiarbeit gehen soll. Auch gegenüber der taz fand sich die 31jährige nur zu einem Interview über „dienstliche Belange“ bereit. An einem solchen Gespräch allerdings war sie durchaus interessiert, weil sie sich sehr über den Bericht des Spiegel über Neukölln geärgert hatte. In dem vor zwei Wochen erschienenen Artikel, in dem Neukölln schlimmer als die Bronx in deren schlimmsten Zeiten dargestellt wird, fühlen sich Singer und ihre Leute vom Abschnitt 55 falsch dargestellt.

Zu dem in der Neuköllner Rollbergstraße gelegenen Abschnitt gehört die Karl-Marx-Straße rund um das Rathaus sowie die Hermannstraße bis hin zur Hasenheide. In dem Bereich leben 75.000 Neuköllner, bis zu 40 Prozent davon sind Immigranten, viele sind arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger. „In einigen Gegenden ist die soziale Lage sicherlich zugespitzt“, sagt Singer. Aber von der im Spiegel beschriebenen explodierenden Kriminalität könne keine Rede sein. „Sind Sie auf dem Weg hierher erschossen worden?“, fragt die Abschnittsleiterin provokativ. Den Spiegel-Artikel empfindet sie auch deshalb als ärgerlich, weil darin kein Wort über die mühevolle Präventionsarbeit zu finden ist. Neben Friedrichshain ist Neukölln der einzige Bezirk der Stadt, in dem Jugendamt, Schule, Kirche, Polizei und Wohnungsbaugesellschaften ein Projekt zur „kiezorientierten Kriminalität- und Gewaltprävention“ betreiben.

Das Projekt findet in einem zur Wache 55 gehörenden Wohnblock statt. In den Sommer- und Herbstferien wurde für und mit den Jugendlichen ein Freizeitprogramm erstellt, zu dem unter anderem auch von Singers Polizisten inititierte Streetballturniere gehörten. Über 100 Jugendliche nahmen teil. Das Fazit der Abschnittsleiterin: „Zu den Zeiten der Turniere konnten wir keine nennenswerte Jugendkriminalität feststellen.“ Aber auch sonst sei bei den Turnieren etwas rübergekommen: Ein Polizist habe gesehen, wie ein Jugendlicher in der Turnhalle im Stehen in ein Klo urinieren wollte, die Schüssel dabei aber voll verfehlte. „Der Polizist hat dem Jungen daraufhin einen Lappen in die Hand gedrückt, bevor der sich aus dem Staub machen konnte.“

Mehr als das, was zu ihrem Amtsantritt in der Wache 55 Anfang des Jahres in den Zeitungen zu lesen war, gibt die aus Dinslaken in Nordrhein-Westfalen kommende Beamtin über ihre Vita nicht preis. Nach dem Abschluß des zweiten Staatsexamens in Jura entschied sie sich 1994 „für die spannende, abwechslungsreiche Tätigkeit“ bei der Polizei und für Berlin: „Nur hier erlebt man die Wiedervereinigung hautnah.“ Die Quereinsteigerin wurde in Berlin und auf der Polizeiführungsakademie in Hiltrup ausgebildet. Nach einer Zeit als Referentin auf zwei Polizeiabschnitten wurde sie zur Beamtin auf Lebenzeit und Polizeirätin ernannt. „Frau Singer macht einen sehr leistungsstarken Eindruck“, sagt der Leiter der Direktion 5, Michael Wilhelm, dazu.

Als Vorgesetzte von 150 Mitarbeitern, rund 40 Prozent davon sind Frauen, ist Singer hauptsächlich mit Personalführung, -controlling und -entwicklung beschäftigt. Auf ihre Leute – sie spricht manchmal auch vom „Team“ – kommen große Veränderungen zu: Anfang kommenden Jahres wird in der Wache 55, ebenso wie in den anderen sechs zur Direktion 5 (Neukölln und Kreuzberg) gehörenden Abschnitten, die Polizeireform erprobt. Dann müssen die Schupos, die bislang beim Verdacht einer Straftat nur Anzeigen für die Kripo aufnahmen, selbst ran. Kleinkriminalität wie Diebstahl oder Einbrüche sollen sie dann von der Spurensicherung über Vernehmungen bis hin zur Aktenabgabe an die Staatsanwaltschaft selbst bearbeiten.

„Natürlich gibt es dagegen auch Widerstände, manche sind allergisch gegen jede Veränderung“, sagt Singer. „Aber es muß sein, nicht nur aus haushaltstechnischen Gründen.“ – „Zuviel Hierachie, die wie ein Blähkopf ist, können wir nicht gebrauchen.“ Plötzlich bekommt ihre Stimme einen energischen Klang und ihre grünen Augen, die farblich so gut mit dem Grün der akurat gebundenen Dienstkrawatte korrespondieren, scheinen zu blitzen.

Dennoch ist schwer vorstellbar, wie die eher zurückhaltend wirkende Frau sich im Konfliktfall mit ihren Mannen anlegt und klarmacht, wer in der Wache 55 die Hosen anhat. Hosen trägt sie im Dienst immer, und wenn sie bei Einsätzen mitfährt, auch eine Waffe. Aber das räumt sie natürlich nur höchst ungern ein, weil dies schon wieder so ein persönlichliches Detail ist.