Selbstverteidigungskurse gegen die Liebe

Ihr Metier ist der Irrwitz des Alltags und der Schrecken der Kleinfamilie. Ihr neues Buch „Alberta empfängt einen Liebhaber“ beginnt mir der Unfähigkeit zu küssen, enthält alles, was Birgit Vanderbeke auszeichnet, und ist doch ein bißchen harmlos geraten  ■ Von Wilhelm Pauli

Es ist alles da, was die Stärken eines gewitzten Vanderbekeschen Pamphlets ausmacht: Die Fähigkeit, mit leichter Hand und trotzdem konzentriertestem Wurf die Stimmung ihrer Kapitel zeitgerecht zu grundieren. Ihre Methode, mit scheinbar renitenter Kindlichkeit und naiver Beharrlichkeit in lakonisch schmucklosen Sätzen die Sprachklischees solange durchzukneten, bis die Sätze ganz schräg stehen, und wir an ihnen vorbei eine helle Sicht auf die dahinter liegenden Wirklichkeiten und tosenden Befindlichkeiten erhalten. Ihr Vermögen, mit schlichten Einsichten und Beobachtungen in noch schlichteren Sätzen philosophische Feuerchen zu legen, ohne dabei je einen hohlen und hohen Ton anstimmen zu müssen.

Vanderbeke erfindet nichts, sie jongliert nicht mit wilden Einfällen und kruden Cuts. Sie schwitzt insistierend den Irrwitz aus dem von Verdrängungs- und Abtäuschungsriten umstellten Alltag: In ihrem ersten Roman „Muschelessen“ die Wahrheit über die Familie unter der Herrschaft des klassischen Ernährers. In „Fehlende Teile“ den gefährlichen Balanceakt, zu dem Männer und Frauen, von der ständigen Aufgabe sehenden Auges blind zu sein, gezwungen sind. In „gut genug“ den birkenstockschuhgestützten Gebärzwang mit seinen sinnlosen Familienkitt-Hoffnungen. „Ich will meinen Mord“, diese verspekulierte Deutscharbeit über die Schöpfungswunder des Schreibens und die Schriftstellerin als Zauberkünstlerin, lassen wir aus. Dann, in „Friedliche Zeiten“, ging sie zurück in die Tiefen der sechziger Jahre, schilderte die Angriffe der Eltern auf die Kinder, die aus den nicht verwundenen Niederlagen, uneingestandenen Verstrickungen und zerstobenen Hoffnungen der NS-Jugendzeit rühren, und die in den abgeschirmten Trutzburgen und Folterstätten wuchernder Eigenheime sich manifestierenden Monumente pathologischer Ordnungs- und Beschäftigungswut.

Und nun: „Alberta empfängt einen Liebhaber.“ Obwohl also alles da ist, was die kleinen Schriften der Vanderbeke auszeichnet, scheint mir „Alberta“ ein bißchen harmlos geraten. Kann aber wahrscheinlich nicht anders sein. Die Autorin erzählt uns die Geschichte einer jener seltsamen Lieben, die völlig unmöglich scheinen. Man kann bezweifeln, daß es solche Liebe wirklich gibt: Wo der Mann, schon bevor er das erste Mal einen Pumpelgummi schnalzen läßt, einen fertigen Lebensentwurf im Tornister hat, am Haus mit drei Kinderzimmern bastelt, gebügelte Schlafanzughosen trägt, dazu Filzpuschen, und beim Zähnputzen laut gurgelt. Man kann es bezweifeln. Zumal wenn die Frau, statt über einen Lebensentwurf zu verfügen, eher dazu neigt, sich einmal dahin, dann dorthin zu werfen oder werfen zu lassen, beim präventiv äußerst sparsamen Zusammenliegen jedesmal allergische Anfälle bekommt oder wahlweise Depressionen und Gewaltphantasien, wenn sie den Lover gurgeln hört.

Aber es bleiben auch in dieser kurios zugespitzten Konstellation genug Wahrheiten über die Schwierigkeiten des geschlechtlichen Zusammenlebens von auseinanderdriftenden Menschen-Inselchen in gesellschaftlichen Zerfallsphasen. Vor allem aber jene verzweifelte Fragestellung: „Es ist im Grunde ganz erstaunlich, dachte ich, wie schlecht die Menschen für so eine ernste Sache ausgestattet werden, die doch jedem irgendwann einmal passiert, oder beinahe jedem, und manchen sogar öfter. Es gibt Lehrgänge und Kurse für und gegen jeden Quatsch auf der Welt, ich kann Paläographie, Crêpes Suzette und Buchhaltung lernen, Fahrstunden nehmen und mir alle mögliche Software vorwärts und rückwärts beibringen, ich kann Halogenschweißgeräte bedienen und flexen und faxen, Rosen pflanzen, nur mit der Liebe kenn' ich mich nicht aus... Es müßte, dachte ich, Selbstverteidigungskurse dagegen geben. Man müßte zuerst einmal lernen können, nicht aufs Telefonklingeln zu warten.“

Da übrigens nähern wir uns bereits dem Ende von Albertas Liebe, zumindest von Vanderbekes Geschichte über Albertas Liebe. Die in den Sechzigern mit einer anderen Schwierigkeit beginnt, mit der Unfähigkeit zu küssen. Gern hätte damals, in der kußreichen Zeit, Alberta ihren Nadan im Rahmen jener Aktionen „Küssen gegen Vietnamkrieg“ in Grund und Boden geküßt – ein Beispiel dafür, wie Vanderbeke mit Leichtigkeit einen ganzen Spielhorizont aufreißt –, doch der war zu deppert. Zehn Jahre später wird die glimmende Liebe erneut angefacht, und Nadan und Alberta werden Richtung Paris durchbrennen und glatt bis Ludwigshafen/Mannheim kommen, um sich erneut und im Handumdrehen für immer zu trennen. Und nun, nach Jahren, wartet Alberta auf den Anruf von Nadan, der einen Besuch in Aussicht stellte. Wird das Feuer wieder auflodern, werden sie nie voneinander loskommen, oder werden die Schwüre – nie mehr! – im Bewußtsein der sonst unweigerlich erneut anstehenden Enttäuschungen diesmal gehalten werden?

Nur soviel sei verraten: Vanderbeke hat eine zweite Ebene in diese Geschichte eingezogen, die Geschichte der Entstehung des Büchleins im Familienkreise des Gatten der Autorin, Jean-Philippe, in französischen Gärten und an der Seite der fiebernden Kinder. Die Autorin wollte Albertas Geschichte eigentlich nach dem gescheiterten Durchbrennen beenden, zumal Nadan nach Amerika ging, Alberta nach Lyon. Aber der sonst grundgütige Jean-Philippe hat plötzlich ganz giftig reagiert und behauptet, diese Geschichte sei nie und nimmer an jenem Punkt ausgestanden, und sie habe sie gefälligst sauber und ein für allemal zu beenden. Aber als sich die Autorin nun bis zu dem hier nicht verratenen Ende mit dem Besuch des Liebhabers durchgebissen hat, und das Ergebnis ihrem Jean-Philippe vorlegt, da ist der wieder ganz der alte und schier randerisch vor Freude.

War also die Alberta-Geschichte die Aufarbeitung einer Birgit-Geschichte? War folglich die Autorin befangen? Konnte sie nicht mit ganzer Konsequenz mit jener verfehlten Liebe, mit dem Bilderbuchspießer Nadan abrechnen, weil sie sich sonst selbst nicht mehr gekannt hätte? Und überhaupt. Was gäbe es bei Liebenden schon abzurechnen? So wie das Durchbrennen mit Nadan scheitern muß, weil man zum Durchbrennen einen äußeren Feind braucht, eine Bedrohung, die nicht in den eigenen Eingeweiden rumort, so entzieht sich eine so große wie lächerliche Liebe gewohnt perfidem Zugriff. Trotzdem bleibt die Geschichte amüsant und gut zu lesen. Da fällt mir ein: Ist sie nun wirklich beendet? Oder ist das nur die Version für Jean-Philippe und uns Leichtgläubige?

Birgit Vanderbeke: „Alberta empfängt einen Liebhaber“. Alexander Fest Verlag, Berlin 1997, 118 Seiten, 32 DM