Mit einer milliardenschweren Finanzspritze will der IWF die Wirtschaftskrise in der südostasiatischen Region in den Griff bekommen. Die internationalen Kapitalmärkte befürchten, daß die Krise nicht auf die "asiatischen Tiger" beschränkt ble

Mit einer milliardenschweren Finanzspritze will der IWF die Wirtschaftskrise in der südostasiatischen Region in den Griff bekommen. Die internationalen Kapitalmärkte befürchten,

daß die Krise nicht auf die „asiatischen Tiger“ beschränkt bleibt.

Den Tiger an die Leine genommen

Das Feuer an den asiatischen Finanzmärkten ist seit den Börsenturbulenzen der vergangenen Woche wieder akut ausgebrochen. Übers Wochenende hat sich der Internationale Währungsfonds (IWF) auf den historisch zweitgrößten Rettungsversuch nach der Mexiko-Krise 1995 geeinigt. Diesmal soll mit 33 Milliarden US-Dollar Indonesien geholfen werden. Damit muß der Währungsfond nach den Philippinen und Thailand bereits das dritte Mal innerhalb weniger Monaten einem südostasiatischen „Tiger“ wieder auf die Sprünge helfen.

Wie brenzlig es geworden ist, beweist die Tatsache, daß erstmals auch die USA in einer Rettungsaktion in Asien mitmacht. Eine grundsätzliche Reform von Asiens Bankenbranche steht offensichtlich jetzt bevor.

Mit der Währungskrise und den Börsencrashs in Süd- und Nordostasien beginnen sich die Zeichen zu verdichten, daß sich in dieser Region eine Bankenkrise von immensem Ausmaß anbahnt. Die jüngsten Opfer sind die 16 indonesischen Banken, die am Samstag zur Einstellung ihrer Geschäfte gezwungen wurden. Diese Banken gewährten ihre Kredite vorwiegend Immobilienspekulanten, die nach dem Einbruch der Konjunktur auf halbleeren Wolkenkratzern sitzen und unfähig sind, die Schulden zurückzuzahlen. So wie in Indonesien haben bereits in Thailand, dem anderen Krisenherd der Region, seit August 50 Banken wegen Überschuldung die Tore schließen müssen. Immer mehr Finanzanalysten fürchten, daß damit ein Dominoeffekt in der Region ausgelöst wird, der China und Japan ebenfalls in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Um ein solches Schreckensszenario zu verhindern, fordern die Finanziers der Rettungsaktionen immer lauter eine grundlegende Reform für die asiatischen Finanzinstitute. Etwas spät, bedenkt man die Praktiken, die bisher auch von europäischen und amerikanischen Finanzanalysten als regionsüblich toleriert worden sind. In der bisherigen Geschäftspraxis für die eben geschlossenen Banken in Indonesien war es nicht notwendig, „unbediente Kredite“ in den Bilanzen auszuweisen. Diese Verletzung der grundsätzlichsten Buchhaltungsregeln machte es bisher fast unmöglich, das Vermögen der Finanzindustrie in diesem Lande richtig einzuschätzen. Die Finanzbehörden kontrollierten diese Institute auf der Grundlage von persönlichen Beziehungen und schätzten ihre Solvenz nach den Beziehungen zu mächtigen Politikern ein.

Dieses Merkmal ist nicht auf Indonesien beschränkt. Es gilt für die gesamte Region – einschließlich Japan. In den südostasiatischen Ländern beherrschen Tycoons einen großen Teil der Märkte. In Südkorea sind es rund 30 Familienkonzerne, die Chaebols, die etwa 80 Prozent der gesamten Wirtschaft in ihrem Griff haben. In Japan sind es die Konzerngruppen, die – in Großverbänden (Keiretsu) organisiert – nicht nur die Industrieproduktion beherrschen, sondern auch den Bankenapparat bestimmen. Dabei ist den Tycoons, den Chaebols und den Keiretsu eines gemeinsam: Sie konnten bei Kreditengpässen auf die Hilfe der staatlichen Finanzbehörden bauen. Aber eben nur solange die Wirtschaft auch boomte.

Die Wachstumsphilosophie in diesen asiatischen Staaten wurde von der internationalen Finanzindustrie mit billigem Kapital versorgt. Es ist noch nicht lange her, daß die enge Verflechtung von Industrie, Politik und Finanzwirtschaft als eines der positiven Merkmale des „asiatischen Wunders“ weltweit gepriesen wurde. Die Verflechtungen haben dazu geführt, daß heute von Kuala Lumpur bis Shanghai, von Bangkok bis Seoul Prestige-Immobilien in den Himmel ragen, die halbleer stehen. Mammutprojekte sind die Regel geworden in dieser Region, ohne dabei die finanziellen Risiken richtig zu bedenken.

Damit ein nachhaltiges Wachstum in dieser Region garantiert werden kann, ist vorerst einmal eine neue Finanzpolitik in allen Ländern notwendig. Die Finanzindustrie muß kontrolliert werden von unabhängigen Instanzen, die das notwendige Fachwissen mitbringt.

In Bangkok mühen sich gegenwärtig ein Dutzend Finanzexperten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds mit solchen Kontrollen ab. Damit diese als „halbkoloniale Bevormundung“ gesehene Expertise aus den Industrieländern in Zukunft nicht mehr notwendig ist, muß die Finanzindustrie in diesen Ländern endlich lernen, daß sie ihrer Bevölkerung gegenüber Rechenschaft schuldig ist. Das hat sehr viel mit Transparenz, offener Information und Demokratie zu tun. André Kunz, Tokio