Attacke der dritten Art

■ 6,5 Millionen Mark weniger? Theaterintendant Klaus Pierwoß kritisiert McKinsey-Gutachten

Als erste Untersuchungsobjekte in der Bremer Kulturszene haben die Leitung und Freunde der Bremer Theater GmbH gestern zum McKinsey-Gutachten zur Kulturförderung Stellung genommen und es buchstäblich in der Luft zerrissen. „McKinsey ist die dritte Attacke auf das Bremer Theater seit meinem Amtsantritt“, sagte der seit Sommer 1994 als Intendant des Vier-Sparten-Hauses am Goetheplatz amtierende Klaus Pierwoß.

In scharfer Form kritisierte er das Gutachten der Unternehmensberater als fahrlässig und unseriös, scholt das Verfahren eine „Schmierenkomödie aus dem Morast hansestädtischer Kulturpolitik“und brach dann auch die ursprünglich vereinbarte Vertraulichkeit zwischen Auftraggebern, Gutachtern und Untersuchungsobjekten: Nach Auffassung von McKinsey könnten die Zuschüsse an das Theater von jetzt rund 42 Millionen Mark um insgesamt 6,5 Millionen Mark gekürzt werden. Pierwoß: „Das sind Zahlen, die es einem die Sprache verschlagen lassen.“Die erste Pikanterie: Im Gegensatz zu den „Sparpotentialen“bei anderen Kulturinstitutionen hat McKinsey diese Zahlen nicht im Gutachten genannt, sondern nach Angaben des Intendanten in einem vertraulichen Brief an Pierwoß selbst sowie an Kultursenatorin Bringfriede Kahrs und Senatskanzleichef Reinhard Hoffmann (beide SPD) übermittelt. Pikanterie zwei: Zur Zeit verhandeln Kahrs und Pierwoß über eine Verlängerung des Intendantenvertrages über 1999 hinaus. Pierwoß: „Derartige Etatkürzungen werde ich nicht hinnehmen.“

McKinseys Brief zufolge könnten die Subventionen an das Vier-Sparten-Haus ab sofort um 2,5 Millionen und ab 2000 um weitere vier Millionen Mark vermindert werden. In einem älteren Entwurf hatte McKinsey noch eine Summe von zwölf Millionen Mark errechnet. Die Quellen hier wie dort: Ein-sparungen im künstlerischen Ensemble oder in der Bühnentechnik sowie Erhöhungen der Eintrittspreise oder größere Anstrengungen des Fördervereins „Bremer Theaterfreunde“. In einem sogenannten Benchmarkvergleich des Bremer Theaters mit anderen Spielstätten glaubt McKinsey nachweisen zu können, daß die Betriebskosten in Bremen überdurchschnittlich hoch und die Eigeneinnahmen unterdurchschnittlich gering sind. Grundlage dieses Vergleichs sind Zahlen aus der Spielzeit 1995/96. „McKinsey schlägt uns heute mit den Zahlen von gestern und läßt sämtliche Bremer Besonderheiten unberücksichtigt“, kommentierte Pierwoß und verwies unter anderem auf das Erbe seines Vorgängers Hansgünther Heyme sowie auf Recherchefehler McKinseys.

Mit dem ihm eigenen Gespür für den kulturpolitischen Auftritt hat sich Pierwoß nach dem sogenannten Theaterstreit von 1995 auch diesmal der Unterstützung von außen versichert: „Ein mit solch einer skandalösen Fahrlässigkeit erstelltes Gutachten ist mir noch nicht untergekommen“, urteilte Arnold Petersen, langjähriger Intendant in Mannheim, Wiesbaden und Rostock sowie Mitglied der Strukturreformkommis-sion des Bremer Theaters. „Es gibt kein deutsches Theater in einer vergleichbaren Stadt, das mit so wenig Geld so gutes Theater macht.“Petersen und andere ehrenamtliche Mitglieder der Strukturreformkommission, die im vergangenen Jahr Reformvorschläge für das Bremer Theater erarbeitet hatte, kritisierten die Landesregierung: „Wir sind vom Senat hinters Licht geführt worden.“

„Das Ding ist einfach schlampig gearbeitet“, stieß Rolf Rempe, Ex-Verwaltungschef des Theaters und jetzt Vorsitzender der Theaterfreunde ins gleiche Horn. So sehe McKinsey im Förderverein ungenutzte Potentiale und nenne im Städtevergleich Essen. „Ein Anruf in Essen hätte genügt, um herauszufinden, daß das meiste Geld an den Essener Förderverein von Karstadt kommt“, sagte Rempe. Zugleich erklärte er, daß die private Bremer Kulturförderung mit der Kunsthalle oder der Philharmonischen Gesellschaft traditionell andere Schwerpunkte setze.

Im McKinsey-Gutachten wimmelt es indes von Formulierungen wie „noch zu prüfen“oder „Potentialabschätzung nur bei Detailuntersuchung möglich“. Ob McKinsey den Auftrag für ein Anschlußgutachten erhält, ist jedoch noch fraglich. Auf eine Kooperation mit dem Theater müsse McKinsey verzichten, kündigte Pierwoß unterdessen schon an. Der Senat berät heute, 4. November, erstmals über das Gutachten, das zum Preis von 4,5 Millionen Mark neben der Kulturförderung auch die Bereiche Liegenschaftswesen und Landesentwicklung analysiert. ck