■ Wilhelm Schertl, Rundum-Kaminkehrermeister und -sammler
: Traumhafte Unikate unterm Dach

Es kommt zwar selten, aber doch immer wieder mal vor, daß jemand ein spannendes Hobby hat und es zum Beruf macht. Wer das schafft, wird von allen beneidet und gilt fortan als eine Art Lebenskünstler. Bei Wilhelm Schertl aus Senden bei Ulm lief es genau umgekehrt. Der kräftige, humorvolle Mann ist seit 43 Jahren mit Leib und Seele Kaminkehrer. Doch während für Berufskollegen am Spätnachmittag, wenn das rußige Gewand ausgezogen ist, das Privatleben beginnt, fängt für ihn der Spaß des Kaminkehrerseins quasi von vorne an. Dann steigt er zufrieden hoch in den ersten Stock seines Einfamilienhäuschens.

Gleich die erste Tür links ist der Eingang ins „Allerheiligste“. Hier stapeln sich Wilhelm Schertls Schätze: eine Kaminkehrerpuppensammlung, wie es sie weit und breit kein zweites Mal gibt. Hunderte von Schornsteinfegern aus Ton und Stoff, aus Holz und Metall sind hier liebevoll aufgebaut – in Regalen, auf Stühlen und an der Wand. Edles Porzellan, Unikate aus Holz, mit winzigen Holzleitern, auch ein knabengroßer Zylinderträger stehen da, und jedes Stück hat seine ganz eigene Geschichte.

Schon in seiner Gesellenzeit hat Wilhelm Schertl angefangen, Kaminkehrer zu sammeln. Wo immer er auch hinkommt, irgendwo finden er und seine Frau garantiert ein neues, originelles Sammelstück. „Unser Urlaubsziel, das muß ich schon zugeben, suchen wir jedes Jahr danach raus, wo wir wieder fündig werden könnten“, gesteht das gestandene Mannsbild, das mit einemmal richtiggehend empfindsam wirkt. Und seine Frau ergänzt: „Allmählich wird es problematisch, ein Land zu finden, in dem wir noch nicht Urlaub gemacht und alles nach Kaminkehrern durchgestöbert haben.“ Was gibt es da nicht alles zu erzählen. Vor zwei Jahren in Neapel beispielsweise hatten sie in einem Trödlerladen diesen traumhaften Porzellankaminkehrer entdeckt. Aber eine Million Lire war ihnen einfach zuviel. Obwohl – so einen hatten sie ja wirklich noch nirgendwo sonst gesehen. Klar, daß sie am frühen Abend noch einmal vorbeischauen mußten. Und da war er dann eben doch für 500.000 Lire zu haben, und so steht er jetzt oben in diesem Privatmuseum, das gerade durch die Fülle solcher Geschichten zum Leben erwacht.

Wilhelm Schertl hat sie bislang noch fast immer bekommen, seine Traumkaminkehrer. Bis auf diesen einen gleich nebenan in Ulm. In der Meißner-Glasvitrine stand er. „Den vergessen wir nie“, erinnert sich Frau Schertl. „Aber der war einfach zu teuer.“ Sie werden ihn wirklich nie vergessen, denn wenige Tage später, am Frühstückstisch, hatte Kaminkehrermeister Schertl gerade wieder an das schöne Stück erinnert. Da entdeckt seine Frau diese Notiz in der Zeitung. Just in dem Laden, in dem dieses sündteure und traumhafte Unikat stand, ist eingebrochen worden. Und was haben die Gangster ausgeraubt? Die Meißner-Vitrine! Insgeheim hofft Meister Schertl immer noch, daß dieses Stück irgendwo irgendwann mal wieder angeboten wird. Sogar in Meißen waren sie schon, extra wegen dieses einen Kaminkehrers, und haben mit Fachleuten alte Kataloge gewälzt. Vergeblich!

Bisher hat Schertl auch noch nie etwas von einer vergleichbaren Sammlung gehört. Es gibt somit auch kaum Chancen, durch Tausch an wertvolle Stücke zu kommen oder ein besonders schönes Stück in einer anderen Sammlung wiederzufinden. Zwei-, dreimal täglich geht der Sammler in das Dachzimmer, und immer wieder freut er sich über seine Sammlung. „Ich liebe meinen Beruf wirklich. Ich wollte nie was anderes werden“, sagt er, und so wie er das sagt, läßt er nicht einen Funken Zweifel aufkommen, daß das auch stimmt.

Wilhelm Schertl hat sich aber keineswegs in eine heile Kaminkehrerscheinwelt zurückgezogen. Das Sammeln ist das eine, das andere ist die Kontrolle und Umsetzung der neuen Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, sind hochtechnische Messungen, Schulungen und die Ausbildung seiner Lehrlinge und Gesellen. Und ein Leben als Glücksbringer ist immer wieder schön. „Jeden Tag passiert mir das, daß mich die Leute berühren, daß sie sagen: Kaminkehrer, bring mir Glück! Oder: Darf ich Sie anfassen? Ich muß noch meinen Lottoschein ausfüllen.“ Der meistberührte Mann in Senden ist er, und seine Frau meint, ihr mache das nichts aus. „Ich werd' auch hin und wieder mal schwarz, aber mir hat das ja auch Glück gebracht.“

Wilhelm Schertl sammelt auch Kaminkehrerzylinder, und er hat seinen eigenen bei der Arbeit sehr häufig auf. Früher habe der Zylinder noch eine recht praktische Funktion gehabt, erinnert er sich. „Da war im Zylinder unsere Brotzeit und unser Schreibzeug. Bei den Bauersfrauen haben wir auch immer Eier bekommen. Nicht bloß zu Ostern. Und die hat man dann im Zylinder heimgetragen. Also, was für andere der Brotzeitbeutel, ist für uns der Zylinder!“ Die Kaminkehrertradition in der Familie Schertl wird fortgesetzt. „Meine beiden Söhne, der eine ist 34, der andere 32, sind auch Kaminkehrer. Beide haben schon ihre Meisterprüfung, und der eine ist sogar schon selbständig – drüben in Baden-Württemberg hat der einen eigenen Kehrbezirk.“

Schon an der Eingangstür ist deutlich zu sehen, welchem Berufszweig sein Besitzer angehört. Die Haustürklingel – ein Kaminkehrer, das Haustürschild ebenfalls und neben dem Eingang an der Wand ein großer geschnitzter Kaminkehrer aus Wurzelholz, der einem genau auf die Füße schaut. Ob man sie auch richtig abstreift am Kaminkehrerfußabstreifer. Klaus Wittmann