■ Demnächst fällt der Europäische Gerichshof erneut ein Quotenurteil. Doch nicht nur juristisch steht die Quote unter Druck. Gleichstellungspolitik ist mühseliges Geschäft. Eine Bestandsaufnahme
: Es gibt ein Leben nach der Quote

Die Gleichstellungspolitik steht zur Zeit unter Druck. Wegen knapper Geldmittel erklären die einen die Frauen- und Gleichstellungsbüros zum nicht mehr finanzierbaren Luxus. Die anderen betrachten die Gleichstellungsarbeit angesichts des bereits Erreichten als anachronistisch. Von denen, die die Differenz zwischen Frau und Mann preisen, wird dieser Politikansatz ohnehin seit Jahren als unsinnige Anpassung der Frau an den Mann kritisiert. Im aktuellen grünen Trend dagegen liegt die Vorstellung, gleichstellungspolitische Stellen mit Frauen und Männern paritätisch zu besetzen und damit wohl den Mann an die Frau angleichen zu wollen. Das nennt sich Geschlechterdemokratie.

In Zeiten der Globalisierung muß die sogenannte Frauenfrage aus der Sicht der politisch Verantwortlichen „den wirklich wichtigen Problemen“ weichen. Gleichstellung wird zum Karrierismus uneinsichtiger Europäerinnen. Auch Feministinnen artikulieren mittlerweile Unbehagen an den zentralen frauenpolitischen Erfindungen der 80er Jahre – durchaus zu Recht. Die Publizistin Mechtild Jansen etwa bescheinigt der Frauenbewegung in ihrem Buch „Das Claudia- Nolte-Phänomen“ eine „Absage an allgemeine Gerechtigkeitspolitik“. Gleichstellungspolitik und ihr Kern, die Quote, scheinen von der Innovation zum Innovationshemmnis verkommen zu sein.

Was ist dran an der derzeit inflationär vorgetragenen Kritik? Richtig ist, daß Gleichstellungspolitik wenig handfeste Erfolge zu verzeichnen hat. Die Zahl der über die Quote neu eingestellten Frauen hat in den meisten Bereichen die 10-Prozent-Marke nie überschritten. Gemessen an dem Engagement, das viele Frauen – mich eingeschlossen – über Jahre in die Gleichstellung investiert haben, ist dieses Ergebnis ernüchternd. Das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag ist deprimierend. Doch eine öffentliche Debatte über diese Input- Output-Relation wird nicht geführt.

Zwar gibt es zahlreiche wissenschaftliche Studien über die Gleichstellungsarbeit, aber sie sind alle tendenziös optimistisch verfaßt, da die forschenden Wissenschaftlerinnen meist unkritisch an das Thema herangehen. Auch die von ihnen befragten Frauenbeauftragten gestehen sich ihre Mißerfolge nicht ein. Statt dessen streichen sie die positiven Ergebnisse und das bereits Erreichte heraus. Von interessierter Seite aus werden wortreich die Erfolge, das sinnvoll investierte Geld, die gemachten Karrieren und die glücklichen, weil geförderten Frauen in den Vordergrund der Auseinandersetzung gestellt. Auch diejenigen Kreise, die das Ärgernis Gleichstellungspolitik auf möglichst elegantem Wege loszuwerden versuchen, müssen ebenfalls die Erfolge betonen, um dann diese Politik angesichts leerer öffentlicher Kassen für überholt erklären zu können.

Als Ergebnis dieser Diskussionen sitzen die Freundinnen der Gleichstellungspolitik in einer höchst unschönen Falle. Werden die Erfolge gepriesen, so scheint die Befreiung gelaufen, neue Anstrengungen sind überflüssig. Werden die noch immer nicht realisierten Chancen betont, so muß, so die Argumentation, wohl das Instrumentarium versagt haben.

In beiden Fällen erscheint die Bereitstellung neuer Mittel somit überflüssig zu sein. Wird schließlich der Verlust des ursprünglichen Gerechtigkeitsideals beklagt, verliert Gleichstellungspolitik ihre befreiungspolitische Emphase. Ihre Abschaffung ist in allen Fällen nur noch eine Frage der Zeit und der Entschlußkraft der AkteurInnen.

Haben wir es mit einer Einheitsfront gegen die noch immer unermüdlich vor sich hin werkelnden Gleichstellungsfrauen zu tun? Die Situation der Gleichstellungspolitik ist nicht ganz so aussichtslos, wie sie sich darstellt. Um der oben dargestellten Falle zu entgehen, muß Gleichstellungspolitik künftig als das dargestellt werden, was sie tatsächlich ist: nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine notwendige und ertragreiche symbolische Politik.

Eingerichtet, um den weiblichen Wunsch nach Befreiung institutionell zu befrieden, erinnert Gleichstellungspolitik zugleich daran, daß von einer Aufhebung der gesellschaftlichen Ungleichheit und Ungerechtigkeit keine Rede sein kann. Daß jeder Erfolg nur einen winzigen Tropfen auf den herr-schaftlichen Fels darstellt. Gleichstellungspolitisches Engagement reproduziert, obgleich es beruhigen soll, stets das schlechte Gewissen des Patriarchats, sofern es überhaupt ein Gewissen besitzt.

Die Falle der Kritik wird nur dann unausweichlich, wenn Gleichstellungspolitikerinnen zur eigenen Sinnstiftung permanent die Erfolge betonen, statt selbst- und institutionenkritisch die trostlos große Distanz zwischen dem Erreichten und dem Möglichen zu betonen. Eine solche Differenz wird bekanntlich mit einem aus der Mode gekommenen Begriff als strukturelle Gewalt bezeichnet.

Die politischen Instrumentarien der Gleichstellung müssen jedoch nicht nur inhaltlich geschärft, sondern auch erneuert und erweitert werden. Nicht die Quotenpolitik als solche ist das Problem und sollte zugunsten der reinen alten Lehre der Autonomie abgeschafft werden. Aufzuräumen wäre vielmehr mit der Illusion, die Gesellschaft sei per Gleichstellungspolitik allein radikal zu verändern. Aufzuräumen wäre auch mit der Harmlosigkeit und Phantasielosigkeit, mit der diese häufig daherkommt.

Da sämtliche Prozentzahlen belegen, daß von der Quote kaum eine profitiert, riskieren die Aktivistinnen wenig, wenn sie sich einmal nicht an die institutionellen Verfahren halten. Entgegen landläufiger Meinung schützt Anpassung keineswegs vor Abschaffung, im Gegenteil. Statt stetig fortschreitender Verrechtlichung und Professionalisierung zur eigenen berufsfeministischen Absicherung wären unkonventionelle, direkte Protest- und Beteiligungsformen neu zu initiieren oder gar neu zu erfinden.

Die Gleichstellungspolitikerinnen von heute müssen dafür sorgen, daß ihnen die politischen Phantasien im ermüdenden Alltag nicht völlig abhanden kommen – sich selbst zuliebe und um der Frauenbefreiung willen. Ganz neue Ideen kommen nur beim Politikmachen selbst: jenseits der Quote. Diese bleibt unverzichtbar – doch als dominante Strategie ist sie eine Phantasiekillerin. Barbara Holland-Cunz