Der Fuchs ist schlau und sitzt im Bau

Besteht die rechtsextreme österreichische Terrorgruppe „Bajuwarische Befreiungsarmee“ wirklich nur aus einem einzigen steirischen Spinner? Dies behaupten die Ermittler, aber es muß deswegen längst nicht stimmen  ■ Aus Wien Ralf Leonhard

Mehr als 150 Stunden lang verhörte Österreichs Polizei den Mann, den das behutsame Gerichtsdeutsch als „mutmaßlichen Bombenattentäter“ apostrophiert, die Mehrzahl der Österreicher aber längst als „Bombenhirn“ bezeichnet. Aber die Ergebnisse sind dürftig.

Franz Fuchs, inzwischen aus dem Grazer Landeskrankenhaus in die Justizanstalt Jakomini der steirischen Landeshauptstadt überstellt, beharrt darauf, daß er nur „ein kleines Rädchen“ gewesen sei, nämlich die „Nummer drei“ im steirischen Kampfverband der „Bajuwarischen Befreiungsarmee“ (BBA). Als solches hat er zugegeben, daß die Rohrbombe im burgenländischen Oberwart, die im Februar 1995 vier Roma zerriß, von der BBA gelegt worden sei. Allerdings „ohne Tötungsabsicht“.

Es sei schließlich nicht zu erwarten gewesen, daß es jemand wage, das auf die Bombe montierte Schild „Roma zurück nach Indien“ zu entfernen. Er selbst habe zwar Bomben zusammengebaut, doch Anleitungen und Opferauswahl seien von oben gekommen. Über die anderen Mitglieder der geheimnisvollen Organisation Auskunft zu geben verbiete ihm der Ehrenkodex der BBA.

Franz Fuchs, der sich wahrscheinlich selbst in die Luft sprengen wollte, als er am 1. Oktober von zwei Gendarmen kontrolliert wurde, sonnt sich in seiner Position als Sphinx, die den Kriminologen immer neue Rätsel aufgibt. Er gibt Informationen nur bruchstückhaft preis, widerruft gelegentlich seine Aussagen und schweigt zu den Schlüsselfragen. Auch die neuen Fundstücke, die in der Wohnung des Verdächtigen im wahrsten Sinne des Wortes zusammengekratzt werden, vermögen die Indizienkette nicht zu schließen: Ein Handschuh, der überprüft wird, ob er einen Gummiabdruck auf der Rohrbombe hinterlassen hat, reicht als Tatbeweis nicht aus. Und die slowenische Freundin, die vor fast zwanzig Jahren die einschneidende Enttäuschung im Leben des Franz Fuchs gewesen sein soll, brachte auch keine neuen Erkenntnisse. Sie wurde zwar gefunden und verhört, doch beteuert sie, mit dem Verdächtigen nie intim gewesen zu sein. Er habe sie erfolglos verehrt.

Die Bevölkerung, die endlich wissen will, ob der geheimnisvolle Einzelgänger Komplizen hatte, wird mit trivialen Details aus dem offenbar nicht vorhandenen Liebesleben des Franz Fuchs und seinen Haftumständen bei Laune gehalten. So erfuhr man aus dem Kurier unter der Schlagzeile „Teuerster Häftling aller Zeiten“, wie der Bombenbauer uns Steuerzahlern auf der Tasche liegt: Die Adaptierung einer Spezialzelle kostete umgerechnet fast 30.000 DM.

Fuchs, der bei der von ihm selbst ausgelösten Explosion beide Hände verloren hat, muß nämlich gefüttert und gereinigt werden, und seine Dusche und sein WC werden mit Lichtschranken aktiviert. Auch rund 180.000 Schilling (25.700 DM) für die Prothesen will das Justizministerium auslegen und sich im Regreßweg zurückholen. „Jetzt müssen wir auch noch seine Hände zahlen“, lamentierte das Billigblatt Täglich Alles. Um Selbstmordversuchen vorzubeugen, haben die Justizbehörden alle elektrischen Schaltungen aus der Fuchs-Zelle entfernen lassen. Die Videokamera, die den U-Häftling rund um die Uhr verfolgt, ist in unerreichbarer Höhe angebracht. Von Mikrofonüberwachung wurde „aus Gründen der Menschenwürde“ Abstand genommen.

In der Kronen-Zeitung war indessen zu lesen, daß die Fahnder auch ohne die Hilfe von Kommissar Zufall dem Bombenbauer auf die Spur gekommen wären. Durch eine Analyse des Wassers, mit dem der Gips für den Sockel der Rohrbombe von Oberwart angerührt worden war, hätten sie die Herkunft des Konstrukteurs auf die Umgebung des steirischen Leibnitz eingegrenzt. Die Ortschaft Gralla, wo Fuchs wohnte, ist ein Vorort von Leibnitz. Bei der Überprüfung aller alleinstehenden Männer mit Universitätsausbildung zwischen 35 und 70 wäre die Polizei früher oder später auch auf den in seinem Dorf als Spinner verschrieenen Fuchs gestoßen. Zumal seit 1. Oktober in Österreich die Rasterfahndung erlaubt ist.

Wie gut die Sonderkommission für Briefbomben in ihrem dreijährigen Bestehen wirklich geworden ist, muß sie erst noch beweisen. Michael Sika, Direktor für öffentliche Sicherheit, vertritt vehement die Einzeltätertheorie. Denn bisher gibt es außer den Aussagen von Fuchs und einer Anzahl von Bekennerschreiben keinerlei Hinweise auf die Existenz einer wirklichen Organisation hinter dem Namen „Bajuwarische Befreiungsarmee“. Sika meint, die BBA sei das Hirngespinst eines einsamen Mannes. „Er hat seine Umgebung mit Kampftrupps bevölkert, die in der Realität nicht vorhanden sind. Es wird kaum möglich sein, ihn von dieser Vorstellung zu befreien.“

Ein grenzgenialer Einzelkämpfer also, der sich nicht nur ein verschrobenes Weltbild, sondern auch technisch perfekte Bomben zusammenzimmerte, aus bisher unbekannten Quellen ein außergewöhnliches Wissen über das österreichische Mittelalter angehäuft hat und außerdem über ausländerfreundliche Personen des öffentlichen Lebens glänzend Bescheid wußte? Historiker, die sich auf die in den Bekennerbriefen angesprochene Geschichtsperiode spezialisiert haben, halten es für unmöglich, daß jemand ohne einschlägige Ausbildung derart über die Bajuwaren und die Herzöge des Hochmittelalters schwadronieren könnte. Was den Kriminalisten außerdem zu denken gibt, sind drei nach Fuchsens Verhaftung abgeschickte Bombenattrappen, die den von Fuchs gebauten Artefakten glänzend nachempfunden waren. Eine war an Bundeskanzler Viktor Klima adressiert.

Dennoch wird die Einzeltätertheorie nicht nur von Michael Sika vertreten. Nachdem die Fahnder jahrelang erfolglos im braunen Schlamm gewühlt haben, sind sie nur allzu froh, wenn sie auf keine rechtsextreme Terrororganisation in Österreich stoßen. Egal, ob Franz Fuchs nun Komplizen hatte oder nicht: Es spricht einiges dafür, daß der vermeintliche Sonderling einfach ein Produkt seiner Umgebung ist.

Der steirische Schriftsteller Gerhard Roth erkennt in ihm einen gar nicht untypischen Vertreter der „relativ vielen begabten Außenseiter, Spinner, Sonderlinge, Verlierer“ in den rückständigen steirischen Voralpentälern, in denen „alles vom Mitmachen und dem Schein bestimmt“ werde und Fremdenfeindlichkeit zur Normalität geworden sei. Er glaubt daher, in Franz Fuchs „trotz allem auch einen nicht ganz untypischen Bewohner der fremden Heimat Österreich zu erkennen“.