Kein Oppositionsbündnis gegen Saddam Hussein

■ Die Gegner des Staatschefs sind zerstritten. Im Norden kämpfen Kurden gegen Kurden

Offiziell ist die Loyalität zu Saddam Hussein ungebrochen: Etwa 3.000 Iraker demonstrierten am Samstag in Bagdad vor dem Büro des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) gegen das UN-Embargo und für den irakischen Staatschef. Kurz darauf ließen sich vier Iraker zum Hungerstreik vor dem UNO- Hauptquartier in Bagdad nieder. Über Proteste gegen Saddam Hussein ist dagegen nichts zu hören – noch immer ist jegliche Opposition gegen den irakischen Staatschef lebensgefährlich.

Erst im Oktober berichtete der zum oppositionellen Irakischen Nationalkongreß übergelaufene Ex-Chef des Militärgeheimdienstes, Wafiq al-Samarrai, Saddam Hussein habe 14 hochrangige Geheimdienstler, Offiziere und Vertreter der regierenden Baath-Partei exekutieren lassen. Die Hingerichteten hätten geplant, Hussein bei einem Besuch in seinem Heimatort Aludscha bei Takrit zu ermorden. Die Attentatspläne seien aufgeflogen, den Angehörigen der gescheiterten Putschisten deren Leichen übergeben worden – verbunden mit der Auflage, auf Trauerfeiern zu verzichten.

Berichte über Versuche, Saddam Hussein zu stürzen, dringen alle paar Monate aus dem Irak. Überprüfen lassen sie sich nicht. Oppositionelle sind jedoch der Ansicht, daß der Ring aus Vertrauten, der Hussein umgibt, beständig dünner wird. Spätestens seitdem er Anfang 1996 seine Schwiegersöhne Hussein Kamil Hassan al- Madschid und Saddam Kamil Hassan ermorden ließ, taugen auch Familienbande nicht mehr als Schutz. Diejenigen, die dem Staatschef noch immer loyal ergeben sind, haben eines mit ihm gemeinsam: Sie haben selbst so viel Blut an den Händen, daß sie einen Umsturz kaum überleben würden.

Dennoch ist es der irakischen Opposition bisher nicht gelungen, Saddam Husseins Herrschaft ernsthaft zu gefährden. Der Grund: Seine Gegner sind heillos zerstritten, sämtliche Versuche seit dem zweiten Golfkrieg, ein parteien-, ethnien- und religionsüberspannendes Bündnis zu schaffen, sind gescheitert. „Die Geschichte der irakischen Opposition ist eine Tragödie“, meint Hassan al-Alawi. Der einstige Berater Saddam Husseins galt nach der Befreiung Kuwaits als Hoffnungsträger der Opposition, vereint er doch die verschiedenen Pole der irakischen Gesellschaft in einer Person: Als Schiit gehört Alawi zur größten Religionsgruppe Iraks, gleichzeitig war er jahrelang in der panarabischen Baath-Partei und gilt auch unter Kurden als integer. Doch sechs Jahre nach den Aufständen gegen Saddam Hussein lebt Alawi resigniert im Exil in London. „Saddam Hussein hat seine Position in den letzten Monaten beständig gestärkt“, meint er. Zwei Gründe führt Alawi dafür an. Zum einen sei es dem irakischen Herrscher geschickt gelungen, die Opposition gegeneinander auszuspielen, zum anderen habe er begriffen, daß die US-Amerikaner ihn nicht wirklich stürzen, sondern nur an der kurzen Leine halten wollten. So könne er sich zwar keine außenpolitischen Abenteuer mehr leisten, doch innerhalb Iraks könne Saddam Hussein schlimmer wüten denn je.

Mehr als 16.000 Menschen würden im Irak seit Ende der achtziger Jahre vermißt, berichtete das UN- Menschenrechtskomitee am 16. Oktober. Das seien mehr als in jedem anderen Land, über das die UNO Informationen habe.

Zur gleichen Zeit liefern sich die irakischen Kurden einen blutigen Bruderkrieg. Der kurdisch kontrollierte Norden des Landes – nach den Aufständen 1991 galt er als Keimzelle für einen demokratischen Irak – ist heute zwischen der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) Massud Barsanis und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Dschalal Talabanis aufgeteilt. Eine Bedrohung für Hussein stellt er nicht mehr dar.

Unterdessen leidet die irakische Bevölkerung unter einem UN- Embargo, daß eigentlich Saddam Hussein schwächen soll. Weil sich die irakische Führung und die UNO nicht auf die korrekte Umsetzung des Abkommens „Öl gegen Lebensmittel“ einigen konnten, starben nach irakischen Angaben in der ersten Hälfte dieses Jahres 30.000 irakische Kinder. UN- Beobachter halten diese Zahl für zu hoch. Doch selbst das UN-Kinderhilfswerk Unicef berichtete im Juni, jedes vierte irakische Kind leide an chronischer Unterernährung. Thomas Dreger